Ahmet Yildiz: „Das Aufstiegsstipendium hat mir die Entscheidung für ein Studium sehr erleichtert“
Als seine Hauptschullehrerin von einem ehemaligen Schüler erzählte, der später studierte, erschien Ahmet Yildiz diese Aussicht noch weit entfernt. Schritt für Schritt ging er aber seinen Weg: Nach dem erfolgreichen Abschluss seiner Ausbildung zum Bauzeichner bildete er sich zunächst zum staatlich geprüften Bautechniker weiter. Später studierte Ahmet Yildiz Architektur an der Hochschule für Technik Stuttgart sowie Bauprozessmanagement und Immobilienwirtschaft an der Technischen Universität Dortmund – jeweils unterstützt durch das Aufstiegsstipendium.
Herr Yildiz, nach Ihrem Hauptschulabschluss haben Sie eine Ausbildung zum Bauzeichner absolviert. Wie waren Sie auf den Beruf gekommen?
Die Berufswahl war für mich einfach. Mein Onkel war Bauzeichner und eines meiner ersten Vorbilder. Während des achten Schuljahres konnte ich ein Praktikum in dem Büro machen, in dem er angestellt war, das fand ich toll. So hatte ich mich schnell auf diesen Beruf festgelegt.
Wie haben Sie Ihre Ausbildungsstelle gefunden?
Ich habe nach dem neunten Schuljahr die Ausbildung an der Berufsschule begonnen, es war aber sehr schwer, als Hauptschüler auch eine Ausbildungsstelle zu finden. Das Besondere an der Ausbildung zum Bauzeichner ist, dass man im ersten Ausbildungsjahr nur an der Berufsschule lernt und im zweiten und dritten Jahr im Ausbildungsbetrieb ist. Das Risiko war also, dass ich ohne Ausbildungsstelle nicht ins zweite Ausbildungsjahr kommen würde. Ich ging die ‚Gelben Seiten‘ durch und rief alle Betriebe an, die für eine Ausbildung infrage kamen. Ein Ingenieurbüro, das im Bauwesen tätig war, lud mich ein und es hieß, dass eigentlich alles okay sei, es aber niemanden gebe, der mich in einer Ausbildung betreuen könnte. Nach zwei Monaten rief ich nochmals dort an, um nach einem Praktikumsplatz zu fragen, das war aber ebenfalls nicht möglich. Nachdem ich die Gelben Seiten bereits zum dritten Mal durchgearbeitet hatte, versuchte ich es auf den Rat meiner Mutter noch einmal bei dem Unternehmen. Da konnte ich auf einmal vorbeikommen und tatsächlich dort anfangen. Das war kurz vor dem Ende meines ersten Ausbildungsjahres. Am Ende meiner Ausbildung erfuhr ich, dass ich angenommen wurde, weil ich so hartnäckig gewesen war, nicht wegen meiner Noten. Die waren auch nicht besonders gut, weil ich immer nur das Nötigste gemacht hatte. Sie verbesserten sich im zweiten und dritten Ausbildungsjahr deutlich.
Wie gefiel Ihnen der Beruf, nachdem Sie den Einstieg geschafft hatten?
Ich blieb noch fünf Jahre in dem Ingenieurbüro. Anfangs war alles neu und ein bisschen kompliziert, ich musste mich erst einmal einarbeiten. Nach der Ausbildung schaute der Chef häufiger über die Arbeiten, aber das wurde mit der Zeit immer weniger. Irgendwann habe ich dann selbstständig gearbeitet. Je mehr Routine reinkam, desto einfacher wurde es für mich, aber ich wollte auch mehr machen. Mit meinem Hauptschulabschluss ging ich davon aus, dass ich das Abitur nachholen müsste, um studieren zu können. Das fühlte sich für mich sehr weit entfernt an, da ich den Wechsel auf die Realschule nicht geschafft hatte. Die andere Möglichkeit war eine Weiterbildung zum staatlich geprüften Bautechniker. Das habe ich dann auch gemacht, an der Steinbeisschule Stuttgart.
Haben Sie die Weiterbildung in Vollzeit oder nebenberuflich absolviert?
Es waren zwei Jahre in Vollzeit. Die Entscheidung fiel mir schwer, weil es vorher so schwierig war, einen Job zu finden, und ich für die Weiterbildung von Ulm nach Stuttgart ziehen musste. Ich war dann aber froh, es gemacht zu haben. Die Weiterbildung war richtig gut und ich durfte für meinen alten Arbeitgeber von zu Hause aus auf 450-Euro-Basis an kleineren Projekten weiterarbeiten. Im Rahmen der Weiterbildung holte ich außerdem einige Fächer nach, die ich zuvor nicht hatte, und erlangte mit dem Techniker-Abschluss so auch die Fachhochschulreife.
Überlegten Sie dann doch zu studieren?
Ich dachte darüber nach, entschied mich aber zunächst für eine Stelle als Konstrukteur in einem renommierten Ingenieurbüro. Dort hatte ich größere Projekte und etwas mehr Verantwortung, aber ansonsten war die Arbeit ähnlich wie zuvor als Bauzeichner. Nach knapp zwei Jahren wechselte ich deshalb ins Hochbauamt der Stadt Stuttgart, als Bauleiter in der Instandsetzung. Dort merkte ich aber schnell, dass das nicht das Richtige für mich war. Meine Qualifikationen als staatlich geprüfter Bautechniker reichten, etwa wenn es um Materialbestellungen ging, nur bis zu einer gewissen Grenze. Zurück wollte ich nicht mehr. Um die Situation zu ändern, musste ich also doch studieren.
Dazu kam, dass ein früherer Arbeitskollege, mit dem ich noch Kontakt hatte, durch das Aufstiegsstipendium gefördert wurde und mich ebenfalls dazu motivierte. Ich bewarb mich noch kurz vor Ende der Bewerbungsfrist und wurde in das Stipendium aufgenommen. Das hat mich riesig gefreut und mir die Entscheidung für ein Studium – damals mit 28 Jahren – sehr erleichtert. Vorher war ich mir nicht sicher, ob ich mir ein Studium überhaupt leisten konnte.
Wie haben Sie den Studiengang ausgewählt?
Ich kam ja aus dem Ingenieurbau, es hätte also nahegelegen, Bauingenieurwesen zu studieren. Ich entschied mich aber für Architektur an der Hochschule für Technik Stuttgart, weil ich damals den Eindruck hatte, dass Architekten ein Projekt als Ganzes betrachten. Das war das, was ich wollte. Dass auch das Berufsbild des Bauingenieurs weit über die Tragwerksplanung hinausgeht, hatte ich damals noch nicht richtig gesehen.
Wie war für Sie der Start ins Studium?
Man war viel freier als in der Techniker-Weiterbildung, musste Themen selbstständiger bearbeiten oder sie nachholen, wenn man sie aufgeschoben hatte. Daran, sich selbstständig auf das Semester vorzubereiten, musste ich mich erst gewöhnen. Das Studium lief aber sehr gut. Während des zweiten Semesters begann ich auch, parallel in Architekturbüros zu arbeiten.
Wurden im Studium berufliche Qualifikationen anerkannt?
Durch meine Berufserfahrung entfiel ein mehrmonatiges Praktikum, das ich sonst hätte absolvieren müssen, und mir wurde das Fach ‚Technisches Zeichnen‘ angerechnet.
Konnten Sie während des Studiums Angebote aus der ideellen Förderung des Aufstiegsstipendiums wahrnehmen?
Ich nahm an mehreren Veranstaltungen der SBB teil, am Anfang meines Studiums zum Beispiel am Seminar zur Prüfungsvorbereitung. Weil ich andere über das Aufstiegsstipendium informieren wollte, war ich auch als Stipendiumsbotschafter aktiv. Für diese ehrenamtliche Aufgabe hatte ich bei einem ‚StiBo-Treffen‘ auch ein Training zu Präsentationstechniken.
Dem Bachelor haben Sie ein Master-Studium angeschlossen. Warum wollten Sie das Studium fortführen?
Den Master musste ich in jedem Fall machen. Wer Architekt werden möchte, muss sich in die Architektenkammer eintragen, und Voraussetzungen dafür sind ein siebensemestriges Studium und anschließend eine zweijährige Berufspraxis. Da mein Bachelor-Studiengang nur sechs Semester dauerte, musste ich also den Master dranhängen. Es war aber auch mein Wunsch, weil ich gegen Ende des Bachelor-Studiums feststellte, dass ich vom Projektgeschehen noch mehr mitbekommen wollte als das reine Entwerfen und Konstruieren. Ich entschied deshalb, meinen Master im Bereich Bauprozessmanagement und Immobilienwirtschaft an der TU Dortmund zu machen. Die Uni habe ich mir ausgesucht, weil dort Architekten und Ingenieure zusammen studieren. Das passte gut, weil ich ursprünglich aus dem Ingenieurbau kam. Und ich fand es cool, in eine neue Stadt und an eine Universität zu wechseln. Der Workflow und der Anspruch waren noch einmal ganz anders.
Wurden Sie auch im Master-Studium durch das Aufstiegsstipendium unterstützt?
Ja, ich bin weiterhin gefördert worden. Das war noch mal eine sehr große Erleichterung. Denn da ich vorher nicht an einer Uni studiert hatte, musste ich einige Fächer nachholen, zum Beispiel in den Bereichen Baukalkulation und Bauwirtschaft.
Wie ging es nach dem Studium beruflich für Sie weiter?
Während des Master-Studiums arbeitete ich als Werkstudent in der Projektsteuerung im Bau- und Immobiliensektor und wurde anschließend übernommen. Vor einigen Monaten bin ich zurück nach Stuttgart zu einem großen Konzern gewechselt und arbeite dort jetzt als Projektmanager. Wir entwickeln die Projekte aus eigener Hand und vermarkten diese anschließend an Immobilieninvestoren.
Staunen Sie heute manchmal selbst über Ihren Weg?
Im achten oder neunten Schuljahr erzählte meine Lehrerin einmal von einem Hauptschüler, der später an einer Universität studiert hatte. Da war das noch so weit weg von mir, ich dachte nur: Wahnsinn, da kommst du nicht hin. Nach der Ausbildung zum Bauzeichner wollte ich dann immer mehr am Geschehen teilhaben und an Projekten mitarbeiten. Irgendwann merkte ich: Es geht eigentlich – man ist nicht zu doof, nur weil man auf der Hauptschule war. Es war ein Prozess, es folgte immer ein Schritt nach dem anderen. Man braucht das Interesse, muss sich hinsetzen und etwas dafür tun. Ich bin froh, wo ich heute bin, und es macht mir Spaß, wie ich arbeiten kann.
Interview: Heinz Peter Krieger