„Seit der Hauptschule habe ich immer wieder gesagt: Ich gehe den nächsten Schritt“

Christina Süßner holte nach ihrem Hauptschulabschluss die Mittlere Reife nach, machte eine Ausbildung zur Elektronikerin für Automatisierungstechnik und arbeitete als Anlagenoptimiererin in einem Industriebetrieb. Im Interview erzählt sie, warum sie sich für ein Studium der Elektro- und Informationstechnik entschied, wie sie vom Aufstiegsstipendium erfuhr und wie sie Projektleiterin für Softwareentwicklung in einem Ingenieurbüro wurde.


Frau Süßner, Sie haben eine Ausbildung zur Elektronikerin für Automatisierungstechnik absolviert. Wie waren Sie auf den Beruf gekommen?

Ich war immer an Technik interessiert und als Jugendliche auch schon bei der Jugendfeuerwehr. Während meiner Zeit auf der Hauptschule habe ich ein Praktikum als Elektronikerin in einem kleinen handwerklichen Betrieb gemacht. Der Praktikumsleiter sagte, dass er mich sofort als Auszubildende genommen hätte. Aber er fand, dass Frauen als Azubis besser in der Industrie aufgehoben seien, weil die Arbeit auf dem Bau manchmal schwierig wäre – zum Beispiel, weil auf den Baustellen häufig Toiletten für Frauen fehlten. Deshalb habe ich mich dann in Richtung Automatisierungstechnik orientiert. Und bei der freiwilligen Feuerwehr bin ich heute noch.

Wie haben Sie Ihre Ausbildungsstelle gefunden?

Mein Vater arbeitete in einem großen Industriepark in Obernburg, zu dem auch eine Lehrwerkstatt gehörte. Ich bewarb mich, hätte dort aber wegen meines Hauptschulabschlusses nur eine Ausbildung in einem Metallberuf machen können. Für eine Ausbildung zur Elektronikerin war die Mittlere Reife erforderlich. Deshalb habe ich innerhalb von zwei Jahren den Realschulabschluss an einer Wirtschaftsschule nachgeholt, um eine zweite Option für einen kaufmännischen Beruf zu haben. Bei meiner zweiten Bewerbung in dem Industriepark klappte es aber, es hieß jetzt nur, dass ich mit meinen Noten auch studieren könnte (lacht). Ich habe dann aber die Ausbildung gemacht.

Wie viele Elektronikerinnen arbeiteten in dem Betrieb?

Ich war nach 20 Jahren die erste Frau, die als Auszubildende im Elektronik-Bereich angefangen hatte, als einziges Mädchen unter 80 Jungen. Später wurden es mehr, das Unternehmen war auch sehr offen dafür. Ich wurde immer zu Berufsinformationsveranstaltungen in Schulen mitgenommen, um den Mädchen die Scheu vor technischen Berufen zu nehmen.

Sind Sie nach der Ausbildung in dem Unternehmen geblieben?

Ich hätte bleiben können, bin aber zu einem Ingenieurbüro gegangen, bei dem ich während der Ausbildung eingesetzt worden war. Da war ich aber einen Schritt zu weit gegangen, weil mir direkt nach der Ausbildung zum Teil noch das Know-how für die Planungsarbeiten fehlte. Ich wechselte deshalb nach einigen Monaten in einen anderen Betrieb und arbeitete dort als Anlagenoptimiererin. Dort habe ich zum Beispiel die Abläufe in teilautomatisierten Anlagen analysiert, etwa um die Anlagen durch zusätzliche Abfragen noch zuverlässiger und sicherer zu machen.

Seit wann dachten Sie darüber nach zu studieren?

Das begann schon während der Ausbildung. Wenn ich einen Gesellen zu bestimmten Fachthemen befragte, bekam ich oft zur Antwort, dass man für solche Fragen studieren sollte. Bei der Arbeit als Anlagenoptimiererin wurde der Wunsch dann immer stärker, mich intensiver mit der Thematik auseinanderzusetzen. Zunächst hatte ich vor, mich zur Technikerin weiterzubilden. Das konnte ich jedoch nebenberuflich nicht mehr organisieren, weil ich in den Drei-Schicht-Betrieb kam. Stattdessen entschied ich mich für ein Vollzeit-Studium und verließ den Betrieb nach anderthalb Jahren, um an der Berufsoberschule die Fachhochschulreife zu erwerben. Das dauerte inklusive eines Vorbereitungsjahrs zwei Jahre. Ich arbeitete immer in den Ferien und übernahm zusätzliche Nebenjobs, zum Beispiel als Kellnerin. Das war eine sehr anstrengende Zeit, aber nachdem ich es geschaffte hatte, war ich auch sehr gut auf das Studium vorbereitet. Ich hatte das Gefühl, dass es die richtige Zeit war, um das Studium anzugehen. Je länger ich gewartet hätte, desto schwieriger wäre es geworden.

Wie haben Sie die Hochschule ausgewählt?

Ich hatte mir einige Hochschulen angeschaut. Wegen des größeren Praxisanteils wollte ich eher an eine Fachhochschule als an eine Uni. Die TH Aschaffenburg hatte einen guten Ruf im Bereich Elektro- und Informationstechnik, war in der Nähe und eine kleinere Hochschule. Das war mir wichtig, um einen engeren Kontakt zu den Professoren zu haben. So war es dann auch. Wir konnten immer in das Büro eines Professors kommen, um ein Problem zu klären.

Wie war der Start ins Studium?

Das erste Semester war fachlich für mich nicht der große Sprung. Im ersten Semester haben viele Kommilitonen aufgegeben, aber mir haben meine Ausbildung und auch die Vorbereitung an der Berufsoberschule sehr geholfen, gerade in Mathematik und Physik, weil ich vieles bereits kannte. Die Professoren stellten schnell fest, wer schon eine Ausbildung gemacht hatte. Man nimmt daraus unheimlich viel mit, auch das Arbeitsleben überhaupt schon kennengelernt zu haben. Wenn es tief in die Materie ging, wurde es natürlich schwieriger, es war aber machbar. Mir hat das Studium immer viel Spaß gemacht und ich konnte mich in Lerngruppen gut auf die Klausuren vorbereiten.

Im Studium wurden Sie durch das Aufstiegsstipendium gefördert. Wie hatten Sie von dem Stipendium erfahren?

Als ich mich zur Technikerin weiterbilden wollte, hatte ich mich bereits erfolgreich um das Weiterbildungsstipendium beworben, das ich dann nicht in Anspruch nahm. Dadurch erhielt ich aber während meines erstens Semesters Informationen von der SBB zum Aufstiegsstipendium. Ich bewarb mich und wurde genommen.

Wie sehr hat Ihnen das Stipendium beim Studium geholfen?

Das Aufstiegsstipendium hat mir das Studium sehr erleichtert, weil ich nicht permanent nebenbei arbeiten musste. Ich habe das Stipendium auch bei Kommilitonen bekannt gemacht, von denen einige dann ebenfalls gefördert wurden. Während der Semesterferien konnte ich außerdem wieder in dem Ingenieurbüro arbeiten, in dem ich nach der Ausbildung einige Monate war. Ich war damals im Guten gegangen und bin nach meinem Studium sogar wieder fest dort eingestiegen.

Nach Ihrem Bachelor haben Sie sich für ein Master-Studium entschieden.

Das Bachelor-Studium hatte ich mit der Note 1,3 abgeschlossen und ich wurde von der Hochschule für den besten Bachelor-Abschluss in diesem Semester prämiert. Am Anfang des Studiums hätte ich es nicht für möglich gehalten, auch noch den Master zu anzuschließen. Aber als es so gut gelaufen war, wollte ich weitermachen und Themen aus dem Bachelor-Studium vertiefen. Seit der Zeit auf der Hauptschule habe ich mir immer wieder gesagt: Ich gehe den nächsten Schritt. Ein paar Jahre später zu denken: ‚Hätte ich es doch gemacht‘, hätte ich mir nicht verzeihen können.

Wie ging es nach dem Studium für Sie weiter?

Das Master-Studium habe ich vor einem halben Jahr mit der Note 1,1 abgeschlossen, während der zweiten Welle der Corona-Pandemie. Zu der Zeit gingen viele Unternehmen in Kurzarbeit und stoppten Neueinstellungen. Für mich war es deshalb ein großes Glück, dass ich wieder fest in dem Ingenieurbüro einsteigen konnte, in dem ich bereits wieder arbeitete. Ich bin jetzt Projektleiterin für Softwareentwicklung – das wäre ohne das Studium nie möglich gewesen.

Interview: Heinz Peter Krieger

 

Update: Seit vielen Jahren engagiert sich Christina Süßner bei der Freiwilligen Feuerwehr Erlenbach. Nach der Flutkatastrophe im Westen Deutschlands war sie im Rahmen des Hilfeleistungskontingents des Landkreises Miltenberg bei der Nothilfe im von der Flut besonders betroffenen Ahrtal aktiv.