„Es war die richtige Entscheidung zu studieren"

Anja Gast absolvierte bereits ihre Ausbildung zur Schneiderin an einem Theater und blieb der Theaterwelt treu. Nach vier Jahren als Gesellin studierte sie, unterstützt durch das Aufstiegsstipendium, Kostümgestaltung an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Im Interview erzählt sie, wie gut ihr das Lernen in dem künstlerischen Umfeld gefiel und wie sie bei ihrer heutigen Tätigkeit als Gewandmeisterin davon profitiert – natürlich wieder am Theater.


Frau Gast, nach der Mittleren Reife haben Sie eine Ausbildung zur Schneiderin absolviert. Wie waren Sie auf den Beruf gekommen?

Dass ich Schneiderin werden wollte, kristallisierte sich nach verschiedenen Praktika heraus, die ich unter anderem in einer Schuhmacherei und einer Schneiderei gemacht hatte. Eigentlich wollte ich auf eine Fachoberschule für Gestaltung gehen. Von der Arbeitsagentur bekam ich aber unter anderem die Adressen einiger Theater. Da ich selbst Theater spielte, war ich davon direkt sehr angetan. Ich hatte vorher gar nicht gewusst, dass die Ausbildung auch am Theater möglich ist.

Haben Sie eine Ausbildungsstelle am Theater gefunden?

Ich bewarb mich zunächst als Damenschneiderin an der Staatsoper in München und erhielt eine Absage. Ich war damals auch erst 15 Jahre alt und sehr schüchtern. Als ich dennoch anrief, um mich nach den Gründen für die Absage zu erkundigen, erfuhr ich aber, dass in der Herrenschneiderei noch eine Ausbildungsstelle frei war. Mit dem Ausbilder dort passte es auch menschlich sofort und ich konnte die dreijährige Ausbildung beginnen.

Wie gefiel Ihnen die Ausbildung?

Ich hatte kaum eine Vorstellung davon, wie sehr noch alte Handwerkstechniken zum Einsatz kommen, dass man zum Beispiel Knopflöcher von Hand sticht oder lose Einlagen für Sakkos verwendet. Aber es gab daneben natürlich auch industrielle Verarbeitung, wenn etwa für Chorsätze große Mengen von Kostümen gefertigt werden mussten. Mir gefiel, dass die handwerklich gefertigten Kostüme und Kleidung auf der Bühne als essenzieller Teil einer Inszenierung einen höheren Stellenwert bekommen und dadurch besonders gewürdigt werden. In der freien Wirtschaft geht die Wertschätzung für Kleidung ja zurück. Kaum jemand geht noch in eine Schneiderei, um sich ein Kleidungsstück maßschneidern zu lassen. Im Theater wird das weiterhin geschätzt. Nach der Ausbildung wurde ich auch übernommen, das ist heute nicht mehr selbstverständlich.

Erlebten Sie auch die Anspannung der Schauspielerinnen und Schauspieler mit, etwa vor einer Premiere?

Als Schneiderin, also in meiner Ausbildung oder als Gesellin, noch nicht. Da arbeitete ich hauptsächlich in den Werkstätten und hatte nur wenige Berührungspunkte zu den Darstellerinnen und Darstellern. Heute ist das anders. Ich bin als Gewandmeisterin tätig und gehe auch zu den Proben oder bin im Abenddienst und achte darauf, dass die Sachen richtig angezogen werden. Da erlebt man dann alles mit, was am Theater passiert.

Seit wann dachten Sie darüber nach zu studieren?

Das entwickelte sich während meiner vierjährigen Zeit als Gesellin. Ich habe parallel immer im Sommer zusätzlich für ein Ritterturnier Kostüme gefertigt. Dabei konnte ich schon Schnitterfahrungen sammeln, hatte aber auch immer mehr Fragen und wollte einfach mehr lernen und mich weiterbilden. Es gab zwar auch Schnittkurse, die die Innung anbot, aber für mich war dann ziemlich schnell klar, dass ich das intensiver verfolgen und studieren wollte.

Welche Studiengänge kamen für Sie infrage?

Was die Theaterschneiderei angeht, gibt es in Deutschland zwei Adressen mit sehr hohem Niveau, die Fachschule für Gestaltung in Hamburg und die Hochschule für Bildende Künste Dresden, an der auch mein Vorgesetzter an der Staatsoper in München studiert hatte. Die HfBK in Dresden sprach mich sehr an, weil ich gerne kreativ bin und ich dort an einer Kunsthochschule studieren konnte. Außerdem ging ich davon aus, wegen der niedrigeren Preise und Mieten in Dresden das Studium dort eher finanzieren zu können als in Hamburg.
 

Mussten Sie besondere Bedingungen für die Studienzulassung erfüllen?

Voraussetzungen für das Studium an der HfBK waren die Ausbildung zur Schneiderin und eine mindestens einjährige Berufspraxis als Schneiderin an einem Theater. Außerdem gab es eine zweitägige Aufnahmeprüfung, in der man die künstlerische Eignung nachweisen musste. Das Abitur musste man nicht zwingend vorweisen. In meinem Studienjahrgang war ich aber dennoch die Einzige ohne Abi.

Wenn Praxiserfahrung am Theater eine Voraussetzung war, hatten vermutlich trotzdem einige Studierende einen ähnlichen Hintergrund wie Sie?

Genau. Die Tendenz geht allerdings dahin, dass die Studierenden schon früh nach ihrer Ausbildung an die Hochschule gehen. Ich persönlich war froh, dass ich noch einige Jahre als Gesellin gearbeitet hatte und schon sicherer in meinem Handwerk war. So konnte ich mich im Studium auf anderes konzentrieren. Nach der Ausbildung verfügt man ja nur über die Grundlagen.

Wie empfanden Sie den Start an der Hochschule?

An der Staatsoper waren die meisten Kolleginnen und Kollegen älter als ich. Deshalb gefiel mir der Austausch mit vielen Gleichgesinnten und mehr Gleichaltrigen. In den schulischen Rhythmus musste ich mich wieder einfinden, aber das war ja das, was ich wollte. Ich war froh, als ich merkte, dass es die richtige Entscheidung gewesen war zu studieren. Immerhin hatte ich dafür ja meinen Job gekündigt. Es war ein bewussteres Lernen als damals in der Schule, da ich mich selbst aktiv dazu entschlossen hatte. Diese Möglichkeit schätzt man dann mehr.

Welche Inhalte hatte das Studium an der Kunsthochschule?

Zu den Pflichtbereichen gehörte zum Beispiel das Erlernen gestalterischer Grundlagen mit Fächern wie Aktzeichnen oder Modellieren mit Ton. Zu den Hauptfächern aus Fachpraxis zählten etwa Schnittkonstruktion und Drapieren von Kleidern an der Puppe sowie verschiedene größere Projekte zu bestimmten Themen, in denen wir beispielsweise ein plastisches Kostüm oder historische Kostüme zu verschiedenen Epochen fertigen sollten. Dazu gab es Wahlfächer in den Semesterferien. Da habe ich viele praxisbezogene Kurse belegt, zum Beispiel zur Sakkoverarbeitung oder zur Anfertigung bestimmter Teile von Kostümen wie historische Kragen oder Tutus, aber auch zur Uniformkunde oder zur Organisation, Kalkulation und Ausstattung eines Stückes. Das Thema Mitarbeiterführung kam für meinen Geschmack dagegen zu kurz. Das Studium habe ich dann nach vier Jahren in der Regelstudienzeit als Diplom-Designerin abgeschlossen.

Wie wichtig war für Sie die Förderung durch das Aufstiegsstipendium?

Ohne das Stipendium hätte ich mehr jobben oder meine Eltern hätten mich stärker unterstützen müssen. Aber ich wollte natürlich unabhängig sein. Nebenher gearbeitet habe ich ohnehin, im ersten Studienjahr noch beim Ritterturnier und später zum Beispiel im Ankleidedienst für eine Akrobatik-Show beim Tollwood-Festival in München.

Wie hatten Sie von dem Stipendium erfahren?

Mir erzählte eine Kommilitonin davon, die ich bereits von der Staatsoper in München kannte und die vor mir angefangen hatte, in Dresden zu studieren. Ich bewarb mich noch vor dem Studium und bekam kurz vor Studienbeginn die Zusage. Das war natürlich eine große Erleichterung. Nach meinem Auswahlgespräch hatte ich gar nicht damit gerechnet.

Ihr Studium haben Sie im vergangenen Jahr abgeschlossen. Wie ging es anschließend für Sie weiter?

Ich war zunächst für vier Monate als Gewandmeisterin am Staatstheater am Gärtnerplatz in München tätig. Seit April dieses Jahres bin ich als Herrengewandmeisterin am Münchner Volkstheater tätig. Das neue Schauspielhaus wurde erst im vergangenen Herbst bezogen und wir haben tolle, moderne und helle Werkstätten. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen sind in meinem Alter und auch das Ensemble ist sehr jung. Das Theater hat ein eher progressives Profil und es macht Spaß, dort zu arbeiten. Das Wichtigste am Theater ist, gerne mit Menschen zu arbeiten und flexibel zu sein.

Wie wichtig war das Studium für Ihre Entwicklung am Theater?

Interessant ist, dass sowohl meine Kollegin am Gärtnerplatztheater als auch die Kostümleitung am Volkstheater wie ich in Dresden studiert haben. Das ist fast wie eine große Familie mit einem intensiven Austausch untereinander. Ohne das Studium hätte ich nie solche Kontakte knüpfen können. Ich möchte jetzt erst einmal Erfahrungen in meiner neuen Rolle am Theater sammeln und mit dem, was ich gelernt habe, Fuß fassen.

Interview: Heinz Peter Krieger