"Ich lernte häufig nachts, wenn die Kinder schliefen"

Nach ihrem Hauptschulabschluss und einer Ausbildung zur Krankenschwester arbeitete Claudia Kloss in der ambulanten Pflege und als Auditorin von Pflegeeinrichtungen. Ihre berufsbegleitenden Bachelor- und Master-Studiengänge in Pflegepädagogik und Gerontologie schaffte sie in der Regelstudienzeit – obwohl sie in der Zeit drei Kinder zur Welt brachte.


Frau Kloss, Sie haben nach Ihrem Hauptschulabschluss eine Ausbildung zur Krankenschwester absolviert. Wie waren Sie auf den Beruf gekommen?

Zunächst machte ich eine Ausbildung zur Kinderpflegerin und arbeitete anschließend in einem Kindergarten. Ich merkte aber schnell, dass dies nicht wirklich meins war, und bekam kurzfristig einen Ausbildungsplatz zur Krankenschwester [jetzt Gesundheits- und Krankenpflegerin] in einem Krankenhaus in Eschenbach in der Oberpfalz. Einen sozialen Beruf zu ergreifen, war immer mein Wunsch gewesen. Durch die Ausbildung zur Kinderpflegerin hatte ich den qualifizierten beruflichen Bildungsabschluss, der in Bayern der mittleren Reife entspricht und Voraussetzung für eine Ausbildung in der Krankenpflege ist.

Pflegeberufe verlangen hohen persönlichen Einsatz. Wie gefiel Ihnen die Ausbildung?

Von Anfang an sehr gut. Ich bekam einen Einblick in alle Bereiche der verschiedenen Stationen, von der inneren Station bis zur Chirurgie oder Psychiatrie und der ambulanten Pflege. Der theoretische Teil an der Pflegeschule machte mir ebenfalls Spaß. Ich fand es wahnsinnig spannend, wie der Mensch funktioniert und wie sich Krankheiten entwickeln. Wenn einen etwas wirklich interessiert, dann lernt es sich leicht. Diese Erfahrung habe ich später immer wieder gemacht.

Wurden Sie nach Ausbildung übernommen?

Leider nicht. Als ich im Jahr 2000 die Ausbildung begann, schrieb eine die regionale Tageszeitung noch: ‚Krankenpflege, ein Beruf mit Zukunft‘. Drei Jahre später, nach Ende der Ausbildung, lautete die Überschrift: ‚Jung und erfolgreich, aber ohne Job‘ – beide Male über einem Foto unseres Ausbildungsjahrgangs. Beim heutigen Personalmangel in der Pflege kann man sich das gar nicht mehr vorstellen. Ich fand aber trotz meines Abschlusses mit der Note 1,3 keine Stelle als Krankenschwester in einem Krankenhaus. So begann ich dann in der ambulanten Pflege, auf einer Station des Bayerischen Roten Kreuzes mit 30 bis 40 Patienten und fünf bis sechs Pflegekräften, also recht überschaubar. Dort blieb ich sechs Jahre. Anfangs war es ein Kompromiss, weil ich auf jeden Fall in der Pflege arbeiten wollte. Im Nachhinein war es das Beste, was mir passieren konnte, weil damit mein weiterer Weg begann.

Was war das für ein Weg?

Durch die Arbeit in der ambulanten Pflege erfuhr ich noch einmal viel über die sozialgesetzlichen Regelungen zur Pflege- und Krankenversicherung und war ins Qualitätsmanagement eingebunden. Dadurch lernte ich vieles kennen, was in der Ausbildung noch kein Thema gewesen war. Ich arbeitete auch als Dozentin an einer Altenpflegeschule und absolvierte bei der Arbeiterwohlfahrt eine berufsbegleitende Weiterbildung zur verantwortlichen Pflegefachkraft, also zur Pflegedienstleitung. Irgendwann merkte ich aber, dass ich im ambulanten Bereich alles kannte, und suchte deshalb nach einem neuen Aufgabengebiet. Ich wechselte als Auditorin zum MDK, dem medizinischen Dienst der Krankenkassen, der unter anderem ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen überprüft. Beim MDK hatte ich zunächst eine intensive Einarbeitungsphase. Ich arbeitete als Lead-Auditorin, leitete Qualitätsprüfungen in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen oder besuchte Pflegebedürftige als Co-Auditorin.

Seit wann dachten Sie über ein Studium nach?

Nach etwa zwei Jahren beim MDK dachte ich darüber nach, wie ich noch mehr über diesen Bereich lernen konnte. Zu der Zeit startete an der TH Deggendorf ein neuer berufsbegleitender Studiengang zur Pflegepädagogik. Zugangsvoraussetzung war zweijährige Berufserfahrung als Krankenschwester und der Studiengang war berufsbegleitend, da passte einfach alles. Die einzige Hürde waren die 1.500 Euro Studiengebühren pro Semester.

Wie haben Sie die Studiengebühren finanziert?

Während meiner Weiterbildung war ich durch das Weiterbildungsstipendium gefördert worden. Dadurch hatte ich bereits Kontakt zur SBB, informierte mich noch einmal auf der SBB-Webseite und stellte fest, dass nun auch das Aufstiegsstipendium für mich infrage kam. Ich bewarb mich und wurde in das Aufstiegsstipendium aufgenommen.

Wie erlebten Sie den Start an der Hochschule?

Es war aufregend und sehr interessant, auf einmal Studentin zu sein. Gut gefiel mir, dass das berufsbegleitende Studium jeweils einmal im Monat an drei Blocktagen stattfand. Da ich 170 Kilometer von Deggendorf entfernt wohnte, mietete ich mich zusammen mit einigen Kommilitonen immer in einer Pension ein. Auf diese Weise lernten wir einander sehr gut kennen. So war es immer auch ein wenig Auszeit vom Beruf. Fachlich kannte ich im Studium vieles schon aus der Praxis, und in meiner Zeit als Dozentin an der Altenpflegeschule hatte ich bereits Erfahrungen in der Pflegepädagogik sammeln können. BWL und Englisch waren schwieriger, aber insgesamt lief es gut. Das Studium konnte ich mit der Note 1,4 abschließen.

Dem Bachelor ließen Sie ein Master-Studium folgen. Was hat Sie dazu motiviert?

Das Bachelor-Studium hatte mir wahnsinnig Spaß gemacht, deshalb informierte ich mich, was ich noch weiter machen konnte. Dabei stieß ich auf den Master-Studiengang Gerontologie an der Universität Erlangen-Nürnberg, ebenfalls berufsbegleitend. Die Gerontologie interessierte mich schon im Bachelor-Studium sehr und hat viele Berührungspunkte zu meiner Tätigkeit beim MDK. Und durch das Aufstiegsstipendium wurde ich weitergefördert. So entschied ich mich dafür.

Während Ihres Bachelor- und Master-Studiums haben Sie drei Kinder bekommen. Wie haben Sie es geschafft, Beruf, Studium und Familie miteinander vereinbaren?

Als meine erste Tochter zur Welt kam, befand ich mich im vierten Semester des Bachelor-Studiums. Das folgende Semester war ein Praktikumssemester mit einem dreiwöchigen Praktikum an einer Krankenpflegeschule. Ich war in Elternzeit und mein Mann, meine Eltern und Schwiegereltern unterstützten mich. Als meine zweite Tochter geboren wurde, war ich gerade in der heißen Phase vor dem Bachelor-Abschluss. Das ging mit viel Disziplin, Durchhaltevermögen und freigeschaufelten Zeitfenstern, in denen ich meine Bachelor-Arbeit schreiben musste, zum Beispiel zweimal in der Woche von 9 bis 13 Uhr, wenn die Kinder durch die Großeltern versorgt waren. Zwei Wochen, nachdem ich die Zusage für das Master-Studium bekommen hatte, merkte ich, dass ich wieder schwanger war. Ich packte so viele Vorlesungen und Seminare wie möglich in das erste Semester, weil ich wusste, dass es schwieriger würde, wenn meine dritte Tochter auf der Welt war. Aber es war natürlich eine unheimliche Organisation, mit großer Unterstützung durch meine Familie. Ich lernte häufig nachts, wenn die Kinder schliefen. Bis zur Abgabe der Master-Arbeit war es ein echter Kampf. Da hatte ich manchmal das Gefühl, dass ich Grenzen überschritt und über mich hinauswuchs. Das Studium habe ich dennoch in der Regelstudienzeit geschafft.

Wie geht es beruflich für Sie weiter?

Momentan ist mein Mann in Elternzeit und ich arbeite in Vollzeit beim MDK Bayern, um wieder richtig reinzukommen. Im kommenden Jahr drehen wir es um und ich arbeite in Elternteilzeit weiter. Es macht mir sehr viel Spaß, wieder in meinem Beruf als Auditorin tätig zu sein. Aber nach der anstrengenden Studienzeit möchte ich dann auch mal wieder mehr ‚Mama‘ sein.

Interview: Heinz Peter Krieger