„Vorbilder sind oft entscheidend“

Als Versicherungskauffrau ins Mathematik-Studium

Nach ihrer Ausbildung und einer Weiterbildung zur Versicherungsfachwirtin wollte Linda Qerimi ihrer großen Leidenschaft Mathematik nachgehen. Unterstützt durch das Aufstiegsstipendium studierte sie Mathe und Physik auf Lehramt und arbeitet seitdem im Schülerlabor des Max-Planck-Instituts. Im Interview erzählt sie, wie sich Schülerinnen und Schüler für die Fächer begeistern lassen und warum sie darauf auch bei ihrer Promotion in Quantenphysik eingehen will.


Frau Qerimi, Sie sind ausgebildete Versicherungskauffrau. Wie waren Sie auf den Beruf gekommen?

Als ich die Mittlere Reife machte, suchte ich nach einem Beruf, der etwas mit Mathematik zu tun hatte. Bei einer Beratung wurden mir das Bank- oder Versicherungswesen vorgeschlagen und ich entschied mich für die Versicherungswirtschaft. Nach der 10. Klasse auf der Realschule hatte ich auch die Zulassung für das Gymnasium, mein Klassenlehrer konnte sich das ebenfalls gut vorstellen. Aber ich hatte schon den Ausbildungsvertrag einer Versicherung in München, deshalb wollte ich diesen Weg auch ausprobieren.

Wie gefiel Ihnen die Ausbildung?

Die Ausbildung war sehr schön und ich hatte eine gute Zeit dort. Ich merkte aber bald, dass ich mir vom Mathematik-Anteil mehr versprochen hatte. Der beschränkte sich eher auf Buchführung. Ich blieb noch zwei Jahre in der Versicherung und machte neben dem Vollzeitjob eine berufsbegleitende Weiterbildung zur Versicherungsfachwirtin. Inhaltlich war das sehr interessant, aber bis auf etwas Statistik war auch hier der Mathe-Anteil gering. Mein persönliches Herz schlägt halt für die Mathematik.

Dachten Sie da schon über ein mögliches Studium nach?

Ja, ich fragte mich, was eigentlich mein Faible in der Schulzeit gewesen war und wie wenig ich noch damit zu tun hatte. Das war für mich der Impuls – dem nachzugehen, was ich wirklich gerne mache und worin ich meine Fähigkeiten sehe. Zuerst dachte ich an Wirtschaftsmathematik, damit hätte ich innerhalb der Versicherungswirtschaft das Ressort wechseln können. Aber eigentlich finde ich Mathematik auch ohne einen konkreten Nutzen schön und für sich genug. Ich wollte außerdem gerne einen Beitrag für die Gesellschaft leisten und kam so dazu, allgemeine Mathematik auf Lehramt für die Realschule zu studieren. Den Abschluss als Versicherungsfachwirtin konnte ich mir an der LMU München als allgemeine Hochschulzulassung anrechnen lassen.

Welche weiteren Fächer hatten Sie im Lehramtsstudium?

Bevorzugt hatte ich Mathematik und Wirtschaft, weil ich beruflich aus dieser Richtung kam. Wirtschaft war aber ein Fach mit Numerus Clausus und ich hatte die Einschreibefrist für das Fach verpasst. Ich besuchte einige Wirtschaftsvorlesungen und wählte eigentlich der Form halber zunächst Physik als zweites Fach, um später wechseln zu können. Eine Kommilitonin hatte mir zuvor den Tipp gegeben, dass ich, wenn ich mit Mathe gut zurechtkäme, auch mit Physik keine Schwierigkeiten haben würde. Ich setzte mich also probeweise in eine Vorlesung zur Thermodynamik und war sofort fasziniert, wie man Naturphänomene mathematisch beschreiben und dann darüber diskutieren kann, welche Resultate daraus folgen. Ich war sofort sicher, dass das richtige Fach für mich war.
 

Waren Sie überrascht, dass Ihnen Physik so gut gefiel?

Ja, schon. An der Schule war das noch nicht so. Ich hatte einen Lehrer, der sagte, dass Physik eher etwas für Jungen als für Mädchen sei. Ich wäre also auch aufgefallen, wenn ich mich in Physik hervorgetan hätte, und das wollte ich gegenüber der Gruppe nicht.

Wie empfanden Sie den Wechsel an die Universität?

Im Berufsleben lernt man, Eigeninitiative zu ergreifen, sich zu organisieren und für sich eine Struktur aufzubauen. Das war ein Vorteil gegenüber den Studierenden, die direkt nach dem Abitur an die Uni gegangen waren. Sie hatten oft Schwierigkeiten, ihren Stundenplan zu organisieren, und ich habe sie zum Teil dabei unterstützt. Inhaltlich hatte ich große Freude. Mathe und Physik sind harte Studiengänge, in denen man viel tun und Zeit investieren muss. Man muss die Fächer wirklich mögen, aber dann motivieren die ‚Wow!‘-Effekte, die man erlebt. Ich hatte außerdem einen wirklich tollen Mathematik-Professor, der mit Herz und Seele Algebra vermittelte. Solche Vorbilder, die anderen die eigene Motivation vermitteln können, sind oft entscheidend.

Wie lassen sich aus Ihrer Sicht Schülerinnen und Schüler für Ihre Fächer begeistern?

Physik ist ein schwierig zu unterrichtendes Fach. Auf der einen Seite muss man darauf achten, dass das Experiment gelingt, und auf der anderen Seite die Weite der Physik vermitteln. Also dass es nicht nur um die Formel geht, sondern immer noch Fragen offen sind und weiter geforscht wird. Seit zwei Jahren arbeite ich im Schülerlabor ‚PhotonLab‘ des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik. Wenn es um aktuelle Themen geht, sind die Schülerinnen und Schüler sehr interessiert. Das sollte man aufgreifen, zum Beispiel, wenn sie nach dem Quantencomputer fragen. Sie beschäftigen sich dann mit wirklich komplizierten physikalischen Fragen.

Wie groß ist der Anteil von Frauen im Physikstudium?

In den Veranstaltungen maximal ein Drittel, meistens sind es weniger. Im Schülerlabor sind ebenfalls ein Großteil der Doktoranden und Doktorandinnen Männer. Ich habe den Eindruck, dass das im deutschsprachigen Raum ein stärkeres Phänomen ist als in anderen Ländern und es immer noch an einem veralteten Gesellschaftsbild liegt. In den Ingenieur- und IT-Berufen ist es ja ähnlich. Deshalb finde ich mittlerweile das Gendern wichtig. Man hat ein anderes Bild vor Augen, wenn man ‚Physikerin‘ oder ‚Ingenieurin‘ sagt.

Bei Ihrem Studium wurden Sie durch das Aufstiegsstipendium gefördert. Wie haben Sie von dem Stipendium erfahren?

Bei meiner Weiterbildung zur Versicherungsfachwirtin habe ich von der IHK für München und Oberbayern bereits das Weiterbildungsstipendium erhalten. In der Einführungsveranstaltung war gleich auch das Aufstiegsstipendium vorgestellt worden. Als ich überlegte zu studieren, habe ich mich dann um das Aufstiegsstipendium beworben und kam genau zum Studienstart in die Förderung.

Wie wichtig war das Stipendium für Ihr Studium?

Studiert hätte ich auch ohne das Stipendium – in Bildung zu investieren, ist nie ein Fehler. Außer der Aufgabe im Schülerlabor hätte ich aber mehr nebenher arbeiten müssen. Das Studium wäre dann sicherlich anders gelaufen und ich hätte länger studiert. Das Aufstiegsstipendium hat mir die Freiheit gegeben, mich ganz auf das Studium zu konzentrieren. Außerdem war es ein zusätzlicher Anreiz, das Studium gut organisiert und in der Regelstudienzeit zu bewältigen.

Das Studium haben Sie inzwischen abgeschlossen. Wie geht es für Sie beruflich weiter?

Vor einigen Monaten habe ich das Erste Staatsexamen bestanden und ich könnte mich jetzt schon im Lehramtsreferendariat befinden. Nach meiner Zulassungsarbeit wurde ich aber gefragt, ob ich promovieren möchte. Im kommenden Monat beginne ich wirklich mit meiner Promotion zur Didaktik in Quantenphysik. Ein Schwerpunkt soll sein, wie sich Quantencomputing Schülerinnen und Schülern nahebringen lässt. Auch wenn ich vielleicht nicht ins Referendariat gehe, habe ich ja auf Lehramt studiert, um Kindern und Jugendlichen Mathematik und Physik zu vermitteln.

Ihr Tipp: Wann passt der Sprung aus dem Berufsleben an die Uni?

Man muss es wirklich wollen und den eigenen Weg verfolgen. Wenn man sein Bestes gegeben hat, lässt sich auch ein mögliches Scheitern akzeptieren. Das hatten viele auch bei mir erwartet, als ich von der Versicherung in die Hochschulmathematik ging – aber ich habe es geschafft.

Interview: Heinz Peter Krieger