Nach Berufsausbildung ins Chemie-Studium: „Ich wurde von Semester zu Semester besser“

Dass er später Chemie studieren wollte, wusste Patrick Gemessy schon nach seiner Ausbildung zur Produktionsfachkraft Chemie. Nach Weiterbildungen zum Chemikanten und zum Industriemeister Chemie war es soweit: Er absolvierte erfolgreich das Bachelor- und Master-Studium an der Universität Heidelberg und informierte dort ehrenamtlich Kommilitonen über das Aufstiegsstipendium, durch das auch er gefördert wurde. Heute unterstützt er als Personalberater selbst Talente bei ihren Karrieren in der Life-Sciences-Branche.


Herr Gemessy, nach der Mittleren Reife haben Sie eine Ausbildung zur Produktionsfachkraft Chemie absolviert. Wie waren Sie auf den Beruf gekommen?

Als wir aus Rumänien nach Deutschland kamen, begann mein Vater als Chemikant bei einem großen Chemie- und Pharmaunternehmen in Darmstadt. Damals war ich zwei Jahre alt. Später war ich in der Realschule selbst sehr gut in Chemie. Während meiner Bundeswehrzeit bewarb ich mich im selben Unternehmen als Chemikant, die Ausbildungsstellen waren jedoch bereits besetzt. Es gab aber noch Stellen als Produktionsfachkraft Chemie – das ist so etwas wie die ‚kleine Schwester‘ des Chemikanten, die sich um einfachere Tätigkeiten wie die Abfüllung und Verpackung chemischer Produkte oder die Steuerung und Instandhaltung der Anlagen kümmert.

Wie gefiel Ihnen dieser Beruf?

Die Arbeit im Labor gefiel mir sehr gut. Als es danach in die Herstellung ging, merkte ich aber, dass ich das nicht mein ganzes Leben machen wollte. Ich sprach mit der Ausbildungsleiterin darüber und sie meinte, dass ich von meinen Fähigkeiten her auch für ein Chemie-Studium geeignet wäre. Seitdem wusste ich, dass ich später studieren wollte.

Wie haben Sie dieses Ziel verfolgt?

Ich wollte zunächst die Ausbildung zum Chemikanten nachholen. Allerdings war ich davon ausgegangen, dass hierfür ein weiteres Ausbildungsjahr reichen würde. Tatsächlich habe ich drei Jahre im Schichtdienst gearbeitet und gleichzeitig berufsbegleitend eine Chemikanten-Weiterbildung im Unternehmen absolviert. Wäre mir das vorher klar gewesen, hätte ich stattdessen direkt die Weiterbildung zum Industriemeister Chemie gewählt. Die Weiterbildung zum Chemikanten wollte ich dann aber nicht mehr abbrechen. Zum Industriemeister habe ich mich dann unmittelbar anschließend an der IHK Darmstadt fortgebildet, ebenfalls berufsbegleitend.

Funktionierte das gut, parallel zur Berufstätigkeit?

Es war schon sehr anspruchsvoll, weil ich während der beiden dreijährigen Weiterbildungen zum Chemikanten und zum Industriemeister weiter Vollzeit im Schichtdienst arbeitete. Für die Weiterbildungen brauchte ich meinen gesamten Urlaub auf. Ich wurde aber durch das Weiterbildungsstipendium unterstützt: Die Ausbildung zur Produktionsfachkraft hatte ich mit Auszeichnung abgeschlossen und erhielt deshalb einen Brief der IHK, in dem sie auf das Weiterbildungsstipendium hinwies. Ich bewarb mich erfolgreich und konnte einen Großteil der Kosten für den Meister-Lehrgang decken.

Was folgte nach der Weiterbildung?

Ich arbeitete noch ein Jahr im Unternehmen und feierte dort sogar mein zehnjähriges Jubiläum. Anschließend kündigte ich die Stelle und begann das Studium. Ich wollte wissen, was bei den Prozessen, die ich täglich erlebte, auf molekularer Ebene passiert. Ich informierte mich an verschiedenen Hochschulen und bewarb mich dann an der Universität Heidelberg. Diese lag in der Nähe, hatte einen sehr guten Ruf und ich bekam eine Zusage.

Mit dem Industriemeister-Abschluss hatten Sie die Hochschulzulassung erlangt?

Richtig. Ich hatte überlegt, stattdessen das Abitur nachzuholen, aber ich fand, dass mir der Industriemeister auch in der Industrie weiterhelfen würde. Außerdem wurde ich bei der Weiterbildung ja durch das Stipendium unterstützt. Deshalb entschied ich mich für die Weiterbildung. Durch die Förderung durch das Weiterbildungsstipendium hatte ich außerdem schon von dem Aufstiegsstipendium erfahren. Um dieses bewarb ich mich gleichzeitig zur Bewerbung an der Uni. Die Zusage für das Aufstiegsstipendium hatte ich schon vor dem Studienplatz.

Wie verlief der Start an der Uni?

Ich hatte es mir einfacher vorgestellt und war vielleicht auch etwas zu blauäugig herangegangen. Es war ganz anders als zuvor in der Weiterbildung. Ich hatte auch Nachteile gegenüber den Abiturienten, weil ich viele Bereiche der Mathematik und Physik noch nicht kannte. Es gab viele lange Abende und Nächte, in denen ich mich mit dem Stoff auseinandersetzen musste. Aber ich fand, dass ich keine andere Wahl hatte – es gab nur den Plan A, keinen Plan B. Außerdem half mir die Zusammenarbeit mit den Kommilitonen. Die meisten waren etwa zehn Jahre jünger als ich, aber das war kein Problem. Ich sehe auch nicht ganz so alt aus, wie ich bin (lacht).

Half Ihnen die Berufserfahrung?

Beim Aufbau der Apparaturen und der praktischen Arbeit an den Geräten hatten einige Kommilitonen Berührungsängste oder es ging ihnen nicht so einfach von der Hand wie mir. Für das erste Praktikum am Anfang des Studiums hätte ich mir außerdem meine praktische Berufserfahrung anrechnen lassen können. Ich habe aber dennoch an dem Praktikum teilgenommen, schon um Kontakte knüpfen zu können.

Wie wichtig war die Unterstützung durch das Aufstiegsstipendium?

Ich hatte zwar Ersparnisse zurückgelegt, aber ohne das Aufstiegsstipendium stünde ich jetzt mit hohen Schulden da. Hätte ich nebenher arbeiten müssen, hätte ich das Studium auch nicht so konsequent durchziehen können. Das habe ich bei Kommilitonen erlebt, die versucht haben, nebenberuflich zu arbeiten. Das ist im Chemie-Studium kaum möglich. Sie haben entweder ein bis zwei Jahre länger gebraucht oder fielen bei den Ergebnissen ab. Auf den Stipendieninformationstagen an der Uni Heidelberg organisierte und betreute ich deshalb den Stand der SBB mehrmals mit, um Studierende zu erreichen und zu beraten, die für das Stipendium infrage kamen. Das Aufstiegsstipendium richtet sich ja an eine spezielle Zielgruppe.

Trotz des schwierigen Studienbeginns haben Sie ein Master-Studium in Chemie angeschlossen. Wann hatten Sie sich dafür entschieden?

Mit dem Vorsatz war ich eigentlich von Anfang an ins Studium gegangen. Insofern stellte sich für mich trotz des etwas holprigen Starts gar nicht die Frage. Beim ersten Bewerbungsverfahren für den Master-Studiengang an der Uni Heidelberg war ich noch abgelehnt worden, bei der zweiten Bewerbung, nach einer halbjährigen Sperrfrist, wurde ich dann aber angenommen. Beim Aufstiegsstipendium kam ich ebenfalls in die weitere Förderung, das half mir natürlich sehr. Vor einem Jahr habe ich das Master-Studium mit der Note 2,0 abgeschlossen – mit nur wenigen Monaten Verzögerung aufgrund der Corona-Pandemie.

Kehrten Sie nach dem Master-Abschluss zurück ins Berufsleben?

Zunächst noch nicht, ich begann zunächst mit einer Promotion in organischer Chemie. Nach einigen Monaten habe ich diese aber abgebrochen, weil dies auf eine wissenschaftliche Karriere an der Hochschule hinausgelaufen wäre und ich lieber in die freie Wirtschaft zurückkehren wollte. Der Doktor-Titel hätte mir also nicht viel gebracht. Bei der Stellensuche wandte ich mich auch an einen Personaldienstleister für den Life-Sciences-Bereich, um mich von diesem unterstützen zu lassen. Die Telefonate entwickelten sich dann so, dass ich mich direkt dort bewarb und ich jetzt selbst dort als Personalberater arbeite.

Was machen Sie dort genau?

Ich suche aktiv nach Talenten für die Bereiche Chemie, Pharmazie oder Lebensmittel- und Biotechnologie und nehme für unsere Auftraggeber Kontakt zu passenden Kandidaten auf. Später nehme ich auch an den Vorstellungsgesprächen teil. Bei den Gesprächen hilft mir einerseits, dass ich die Arbeit in der Produktion gut kenne und weiß, welche Kompetenzen dort gebraucht werden, aber auch das Studium. Ich kann mich also mit den Kandidaten wirklich im Detail und auf Augenhöhe über die Chemie-Branche unterhalten und kenne nicht nur einige Schlagworte. Im Personaldienstleistungsbereich möchte ich mich gerne weiter etablieren.

Wenn Sie auf Ihren Weg über die Industriemeister-Weiterbildung bis ins Bachelor- und Master-Studium blicken: Wann passt ein solcher Schritt?

Da gibt es kein Richtig oder Falsch. Man muss wissen, was man wirklich möchte – zum Beispiel, ob man das Studium benötigt, um die Karriere voranzubringen, oder ob man eine bestimmte Berufung verfolgt.

(Interview: Heinz Peter Krieger)