Frage an Sie beide: Wenn Sie im Gespräch mit jungen Menschen sind: Was sind Ihre Argumente dafür, warum sich eine Berufsausbildung lohnt?
Esser: Berufliche Bildung ist vielfältig und spannend. Bei mehr als 300 dualen Ausbildungsberufen ist für jeden und jede etwas dabei. Das gilt nicht nur mit Blick auf die aktuellen persönlichen Interessen und Fähigkeiten, sondern auch mit Blick auf die weitere Lebensplanung. Eine Berufsausbildung ist attraktiv und bietet zum Beispiel Sinnstiftendes, sichere Zukunftsperspektiven, Karrierechancen und gesellschaftliche Teilhabe.
Lochner: Die Entscheidung für eine Berufsausbildung lohnt sich immer. Für jede und jeden auf unterschiedliche Art und Weise. In einer Berufsausbildung können die praxisnahen Erfahrungen verbunden mit theoretischem Wissen und erlernten praktischen Fähigkeiten direkt im Betrieb angewendet werden. Viele Unternehmen und Branchen suchen nach gut ausgebildeten Fachkräften oder gewinnen auch gerne die eigenen Auszubildenden für eine Weiterbeschäftigung im Ausbildungsbetrieb. Somit ist eine Berufsausbildung oft der erste Schritt für eine erfolgreiche Karriere. Weiter stehen den Auszubildenden vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten in der beruflichen Bildung zur Verfügung.
Frage an Professor Esser: Welche Herausforderungen, aber auch Chancen sehen Sie für Berufsbilder und Berufsausbildungen durch die weitere Digitalisierung, insbesondere den wachsenden Einsatz von KI?
Esser: Die Anforderungen, die aus KI erwachsen, werden genauso wie das Thema Digitalisierung bei jeder Neuordnung berufsspezifisch reflektiert werden müssen. Allgemeine Kenntnisse hierzu sollten zudem allen Auszubildenden vermittelt werden, denn es ist wichtig, dass alle grundlegende Kenntnisse über KI, deren Wirkungsweise, Chancen und Risiken haben. Nicht zuletzt muss das Thema auch unbedingt Einzug in die Ausbilderqualifizierung halten. Im Kontext von Prüfungen ergeben sich durch KI neue Chancen. So hilft KI dabei, Prüfungsaufgaben in leichter Sprache zu entwickeln, um so Missverständnisse durch sprachliche Komplexität abzubauen, die nicht im Zusammenhang mit beruflichen Aufgaben stehen. Um Prüfungen und Lernstandserhebungen mittels KI zu unterstützen, ist es aber noch ein längerer Weg. Hier gilt es auch abzuwägen, welche Maßnahmen im Rahmen des EU AI Act und der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) realisierbar sind.
Frage an Sie beide: Welche Bedeutung sehen Sie im lebensbegleitenden Lernen, also in der kontinuierlichen weiteren Qualifizierung nach der Erstausbildung?
Esser: Moderne berufliche Ausbildung legt die Grundlage für lebensbegleitende Lernprozesse. Es ist daher wichtig, Weiterbildung bereits in der Gestaltung der Ausbildung mitzudenken. Dabei kommt der Vermittlung der Kompetenzen zu eigenständiger Informationsbeschaffung und Bewertung in der jeweiligen beruflichen Domäne eine besondere Bedeutung zu. Aktuelle didaktische Konzepte in der Ausbildung legen in diesem Zusammenhang Wert auf die eigenständige Erarbeitung von Lerninhalten. Das Konzept des Ausbildungspersonals als Lernprozessbegleiter ist dabei weit verbreitet.
Strukturkonzepte für die Aus- und Fortbildung müssen sich an einer flexiblen, inklusiven und exzellenten Berufslaufbahn orientieren, die Übergänge zwischen den Gewerken mitdenkt. Besonders im Kontext der aktuellen Transformationsprozesse ist berufliche Mobilität innerhalb verwandter Berufsfelder wichtig, um Fachkräfte schnell und passgenau qualifizieren und einsetzen zu können.
Lochner: Lebensbegleitendes Lernen ist in jeder Arbeitsphase von großer Bedeutung - sowohl während der Ausbildung als auch im späteren Berufsleben. Die kontinuierliche und individuelle Qualifizierung ist eine Kombination aus beruflicher und persönlicher Weiterentwicklung.
Einerseits ist es wichtig, die aktuellen Anforderungen im Berufsleben zu kennen und die Kenntnisse durch regelmäßige Fort- und Weiterbildungen zu vertiefen sowie entstehende Netzwerke zu erweitern und Kontakte zu knüpfen. Andererseits fördert lebenslanges Lernen auch persönliche und soziale Kompetenzen und stärkt das Selbstbewusstsein.
Frage an Sie beide: Welche Rolle können die Bundesstipendien für berufliche Talente spielen: das Weiterbildungsstipendium für Berufseinsteiger und das Aufstiegsstipendium für Berufserfahrene?
Esser: Das Weiterbildungsstipendium richtet sich an Fachkräfte unter 25 Jahren, die schon eine berufliche Ausbildung absolviert haben. Ich finde es sehr gut, dass in einer sich immer schneller verändernden Arbeitswelt hierdurch jungen Menschen berufliche Perspektiven und Karrierechancen eröffnet werden. Das gilt gleichermaßen auch für das Aufstiegsstipendium für Berufserfahrene.
Lochner: Das Weiterbildungsstipendium fördert junge Fachkräfte, die direkt nach der Ausbildung ihre Qualifikation durch eine anspruchsvolle Weiterbildung erweitern möchten. Das Aufstiegsstipendium hingegen unterstützt Berufserfahrene auf dem Weg zu einem ersten akademischen Hochschulabschluss.
Beide Bundesstipendien bieten den Stipendiatinnen und Stipendiaten zunächst eine finanzielle Unterstützung an und ermöglichen es, dass sich die Geförderten auf ihre gewählten Qualifikationen konzentrieren können. Darüber hinaus gibt es eine umfangreiche ideelle Förderung mit interessanten Seminaren, Regionalgruppentreffen, Unternehmensführungen und vielen weiteren Aktivitäten.
So leisten die Bundesstipendien für berufliche Talente einen entscheidenden Beitrag zur persönlichen und beruflichen Entwicklung. Gleichzeitig stärken sie die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt und wirken durch die Erhöhung der Qualifikationen von Fachkräften dem aktuellen Fachkräftemangel entgegen.
Frage an Sie beide: Sie haben beide Ihren Berufsweg mit einer beruflichen Ausbildung begonnen. Welche Ausbildung war das, und wie wirken die Erfahrungen daraus bis heute nach?
Esser: Ich habe seinerzeit das Bäckerhandwerk erlernt. Für mich damals die richtige Zeit und der richtige Beruf, die Schulbank hinter sich zu lassen und in die reale Arbeitswelt einzutauchen. Über die handwerklichen Kompetenzen hinaus sind es insbesondere die Schlüsselqualifikationen, die mir heute noch bei der Bewältigung des Arbeitsalltags helfen. Ich bin dafür dankbar, insbesondere Teamarbeit sowie Qualitäts- und Kundenorientierung in Ernstsituationen gelernt zu haben. Für mich im Übrigen der ganz persönliche Beleg dafür, dass eine Ausbildung auch bei späterem Berufswechsel in der Regel keine verlorene Zeit ist.
Lochner: Grundsätzlich haben die Erfahrungen aus einer Berufsausbildung jederzeit einen Einfluss auf die berufliche Laufbahn und die persönliche Entwicklung. Dieser bleibt daher oft ein Leben lang spürbar. Ich habe eine Ausbildung zur Fachkraft für Brief- und Frachtverkehr abgeschlossen, und für mich war die praxisnahe Ausrichtung einer Berufsausbildung der richtige Weg ins Berufsleben. Neben der erworbenen fachlichen Kompetenz haben mich jedoch vor allem die vermittelten sozialen Fähigkeiten in unterschiedlichen Ausbildungssituationen geprägt. Dieses Resümee zeigt mir persönlich, dass Erlerntes aus einer Berufsausbildung in jedem weiteren Berufsabschnitt von Bedeutung ist.
Frage an Frau Lochner: Können Sie die Ziele und aktuellen Herausforderungen der SBB erläutern?
Lochner: Die SBB steht in den kommenden Jahren vor unterschiedlichen Herausforderungen, die ich kurz aufzeigen möchte:
Zum einen gibt es quantitative Ziele: In beiden Förderprogrammen – Weiterbildungs- und Aufstiegsstipendium – steigen die jährlichen Aufnahmen.
Zum anderen gibt es qualitative Ziele: Die ideelle Förderung in der SBB wird weiter aus- und aufgebaut und erhält einen noch höheren Stellenwert. Zusätzlich stärkt die SBB die Vernetzung und Zusammenarbeit mit den Begabtenförderungswerken und weiteren Kooperationspartnern. Ein erstes Ziel sind mehr gemeinsame Veranstaltungen in der ideellen Förderung.
Neu ist das Programm TidA – das Stipendium für Talente in der Ausbildung: Die SBB beteiligt sich in Kooperation mit der Stiftung der deutschen Wirtschaft (sdw) am Pilotprojekt zur Förderung begabter Auszubildender. In diesem Jahr können an den Standorten Berlin und Düsseldorf jeweils 25 Auszubildende in die Förderung aufgenommen werden.
Die SBB ist zudem ein Bindeglied der beruflichen Bildung: Die SBB ist ein in Deutschland einzigartiges Kompetenzzentrum für die berufliche Bildung. Ziel ist die bestmögliche Förderung von beruflichen Talenten aus allen Berufsbereichen. Zukünftig möchte die SBB bereits begabten Auszubildenden die vielfältigen Berufsbildungskarrieren mit weiteren unterschiedlichen Formaten aufzeigen, wie z.B. Unternehmensführungen, Informationsveranstaltungen zu den SBB-Fördermöglichkeiten, mögliches Mentorenprogramm sowie ein gemeinsames Akademie-Wochenende mit allen begabten Auszubildenden.
Frage an Sie beide: Welche Potenziale sehen Sie in einer engeren Zusammenarbeit zwischen BIBB und SBB? In welchen Bereichen ist die Zusammenarbeit besonders vielversprechend?
Lochner: Ich würde es sehr begrüßen, wenn die SBB und das BIBB gemeinsam Veranstaltungen und Konferenzen zur beruflichen Bildung gestalten und sich gegenseitig mit Beiträgen unterstützen. Ebenso sehe ich die Möglichkeit für eine engere Kooperation im Rahmen unseres Seminarprogramms für die Stipendiatinnen und Stipendiaten in der ideellen Förderung, insbesondere bei gesellschaftspolitisch relevanten Themen.
Esser: Ich könnte mir insbesondere vorstellen, dass das BIBB sich mit Beiträgen bei ihren Workshops und Seminaren für die Stipendiaten beteiligt oder wir gemeinsame Veranstaltungen durchführen. Ich denke da etwa an Themen wie Nachhaltigkeit in der beruflichen Bildung, die Förderung digitaler Kompetenzen für die Arbeitswelt und viele andere Bereiche.