„Das Studium war eine gute Entscheidung – und das Aufstiegsstipendium eine sehr große Hilfe“

Nachdem Enis Ibraimi mit 23 Jahren aus dem heutigen Nordmazedonien nach Deutschland gekommen war, absolvierte er eine Ausbildung zum Textilreiniger. Über soziale und pädagogische Projekte in Schulen bekam er Kontakt zum Verein Rom e. V., arbeitete weiterhin in Schulen und entschied sich schließlich, Soziale Arbeit an der Technischen Hochschule Köln zu studieren. Das Studium schloss er – unterstützt durch das Aufstiegsstipendium – erfolgreich ab und möchte nun seine positiven Erfahrungen an Jugendliche weitergeben, die sich mit dem Einstieg in den Beruf noch schwertun.

 


Herr Ibraimi, Sie sind in Skopje zur Welt gekommen. Mit wie vielen Jahren sind Sie nach Deutschland gekommen?

Einige meiner Familienmitglieder waren noch zu jugoslawischer Zeit als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen. Mit 23 Jahren besuchte ich meinen Onkel, der in Köln lebte. Ich mache Musik und traf hier andere nette Musiker, mit denen ich dann zusammenspielte. So lernte ich das Leben und die Kultur in Deutschland kennen und entschied mich zu bleiben.

Sie haben in Deutschland eine Ausbildung zum Textilreiniger absolviert. Wie kam es dazu?

In Mazedonien hatte ich nach der Mittleren Reife bereits eine Ausbildung zum Hotelfachmann gemacht. Verwandte von mir führten in Köln einen Textilreinigungsbetrieb. Dadurch interessierte ich mich für die Ausbildung, auch mit der Idee, mich in dem Bereich einmal selbstständig machen zu können. Die Ausbildung absolvierte ich in einem größeren Betrieb. Dort arbeitete ich nach dem Abschluss zwei Jahre, merkte aber, dass ich auf Dauer noch etwas anderes machen wollte. Deshalb orientierte ich mich dann neu.

Welche berufliche Richtung schlugen Sie stattdessen ein?

Ich bin damit aufgewachsen, dass meine Familie immer vielen Menschen half, unter anderem in verschiedenen Hilfsprojekten und Vereinen – meine Mutter im medizinischen und mein Vater im politischen Bereich. In Mazedonien hatte ich bereits als Mediator in Schulen gearbeitet. In Deutschland engagierte ich mich zunächst in verschiedenen Projekten, zum Beispiel als Musikpädagoge in Jugendzentren. Auf diesem Weg bekam ich Kontakt zu einer Mitarbeiterin von Rom e. V., einem Kölner Verein, der sich für die Rechte von Sinti und Roma einsetzt. So kam es, dass ich für den Verein mehrere Jahre als Schulmediator, Sprachförderer und Elternbegleiter an verschiedenen Grundschulen arbeitete. Ich ging mit in den Unterricht, arbeitete mit den Kindern in den Einsteigerklassen in Kleingruppen, organisierte Anti-Aggressions-Trainings, war Vermittler zwischen Schule, Kindern und Eltern und machte auch Hausbesuche bei den Eltern, um sie davon zu überzeugen, die Kinder zum Schulbesuch zu motivieren. In der Zeit machte ich außerdem eine Weiterbildung zum Elternbegleiter. Bei meinen Aufgaben half mir auch, dass ich mehrere Sprachen spreche: Deutsch, Englisch, Bulgarisch, Serbokroatisch, Mazedonisch, Albanisch, die Sprache der Roma Romanes und dazu ein wenig Russisch.

Seit wann dachten Sie darüber nach zu studieren?

Die Idee hatte ich schon in meinem ersten Jahr bei Rom e. V. und während meiner Arbeit an den Schulen. Ich wollte mich weiterentwickeln, war mir aber nicht sicher, ob ich es schaffen würde, die Arbeitszeit zu reduzieren, gleichzeitig zu studieren und das Studium dennoch zu finanzieren. Ich war ja kein Muttersprachler und schon über 30. Ich überlegte fast zwei Jahre, bis ich entschied, mich an der Technischen Hochschule Köln beraten zu lassen und für den Studiengang ‚Soziale Arbeit“ zu bewerben. Ich hatte zwar kein Abitur, aber ich erfüllte durch meine Ausbildung in Deutschland und die praktische Erfahrung die Voraussetzungen für das Studium. Als ich von der TH Köln die Unterlagen erhielt, sagte man mir: ‚Wir brauchen solche Menschen wie Sie.‘

Wie war der Start ins Studium?

Es war nicht ganz einfach mit Studium, Arbeit und meiner Tochter, die bei ihrer Mutter lebt, um die ich mich aber auch kümmere. Ich konnte mich jedoch schnell einarbeiten. Ich hatte ein Ziel vor Augen und den nötigen Willen. Nachdem ich die Studienphasen und -module kennengelernt hatte, erstellte ich mir einen Plan, wie es weitergehen sollte. Ich hatte auch gehofft, dass ich die Anforderungen an das Praxissemester bereits abgedeckt hätte. Meine praktischen Erfahrungen wurden dafür aber nicht anerkannt, da sie nicht von der TH begleitet worden waren. Das Praxissemester konnte ich dann bei Rom e. V. absolvieren.

Während Ihres Studiums wurden Sie durch das Aufstiegsstipendium gefördert. Wie hatten Sie von dem Stipendium erfahren?

Vom Aufstiegsstipendium erfuhr ich erst nach Beginn des Studiums, als ich mit einer Kollegin darüber sprach, dass ich nun nur noch in Teilzeit arbeitete. Sie kannte das Stipendium. Ich schaute mir anschließend die Informationen dazu im Internet an, bewarb mich und hatte dann ein sehr angenehmes Auswahlgespräch und wurde in die Förderung aufgenommen.

Wie sehr erleichterte Ihnen das Stipendium das Studium?

Das Studium war eine gute Entscheidung – und das Aufstiegsstipendium eine sehr große Hilfe. Das Schlimmste wäre gewesen, an meine Grenzen zu kommen und das Studium aufgeben zu müssen. Ohne das Stipendium hätte ich es wahrscheinlich nicht geschafft.

Konnten Sie von Ihrem Studium beruflich bereits profitieren?

Nach meinem Bachelor-Abschluss bewarb ich mich bei der Caritas und übernahm freiberuflich ein Projekt im Bereich Migration und Integration. Das Projekt lief leider aus, weil die Stadt Köln es nicht weiterfinanzierte. Jetzt bin ich als sozialpädagogische Fachkraft im Auftrag des Jugendamts bei einem Jugendhilfeträger tätig. Dort kann ich meine praktischen Erfahrungen und den theoretischen Teil, den ich im Studium gelernt habe, miteinander verbinden. Das ist ein sehr gutes Gesamtpaket. Der akademische Abschluss gibt mir dabei mehr Flexibilität. Im Bereich der sozialen Arbeiten gibt es eine breite Palette an Möglichkeiten und es stehen mir jetzt viel mehr Türen offen – zum Beispiel zur Arbeit mit Jugendlichen, mit Senioren oder mit Häftlingen.

Was sind Ihre weiteren beruflichen Pläne?

Ich überlege, welche weiteren Zusatzqualifikationen ich erwerben und wie mich weiterbilden könnte. Ich möchte gerne noch andere Bereiche der sozialen Arbeit kennenlernen. Einer meiner Favoriten bleibt die Arbeit in Schulen, mich interessieren aber auch die Berufsberatung und Aufgaben als Jobcoach, um jungen Leuten mögliche Wege aufzuzeigen. Wir brauchen Bildung, aber viele trauen sich nicht – aus finanziellen Gründen oder weil sie denken, dass sie es nicht schaffen. Ihnen kann ich sagen: ‚Schau mal, ich habe es gemacht. Und wenn ich das geschafft habe, kannst du das auch.‘ Man braucht dafür Disziplin, Mut und man darf nicht aufgeben. Für die Unterstützung und die verständnisvolle Beratung während des gesamten Studiums durch die SBB bin ich sehr dankbar!

Interview: Heinz Peter Krieger