„Als Arbeiterkind mit Migrationshintergrund hatte ich nie geplant zu studieren“

Nachdem er das Abitur nicht geschafft hatte, absolvierte Tobias Maisner zunächst eine Ausbildung zum Industriemechaniker und bildete sich anschließend zum Maschinenbautechniker weiter. Als das Unternehmen, in dem er erfolgreich tätig war, Kurzarbeit anmelden musste, nutzte er die Zeit, um über seine berufliche Zukunft nachzudenken, und entschied sich, Maschinenbau an der Hochschule Hannover zu studieren. Im Interview erzählt unser Stipendiat, wie wichtig die Förderung durch das Aufstiegsstipendium für ihn war und wie er sich als Tutor und im Team „Campus Motorsport“ engagierte.


Herr Maisner, Sie haben eine Ausbildung zum Industriemechaniker absolviert. Wie waren Sie auf den Beruf gekommen?

Auf den Beruf kam ich durch meine Familie. Meine Eltern sind mit meinem Bruder als Spätaussiedler aus Kasachstan nach Deutschland gekommen, ich wurde schon in Deutschland geboren. Mein Vater war Berufskraftfahrer. Ich kannte es eigentlich nicht anders, als dass er und mein Bruder immer an Autos schraubten. Dadurch hatte ich früh einen Bezug zur Technik. Als ich auf dem Gymnasium das Abitur nicht geschafft hatte – ich war damals einfach etwas faul und bin durch die Prüfungen gefallen –, hatte ich zunächst die Idee, Kfz-Mechaniker zu werden. Dann informierte ich mich über die Perspektiven in anderen Berufen und kam auf die Ausbildung zum Industriemechaniker.

Wie haben Sie Ihre Ausbildungsstelle gefunden?

Ich habe mich bei drei Unternehmen beworben und hätte bei allen beginnen können. Ich habe dann das ausgewählt, bei dem mein Bruder bereits seit mehreren Jahren arbeitete. Dies war ein großer Hersteller von Nutzfahrzeugen bei uns im Emsland, mit eigener Lehrwerkstatt. Die Ausbildung war dadurch sehr umfassend. Man lernte die Grundlagen der Metallbearbeitung und später in den Abteilungen das gesamte Tagesgeschäft kennen. Ich kam unter anderem in die Versuchsabteilung und blieb auch nach der Ausbildung dort. Die Ausbildung konnte ich von dreieinhalb auf drei Jahre verkürzen.

Wie ging es in dem Unternehmen für Sie weiter?

Ich arbeitete zwei Jahre als Versuchsschlosser im Prototypenbau und weitere zweieinhalb Jahre in der Entwicklung. Direkt nach der Ausbildung begann ich außerdem eine vierjährige berufsbegleitende Weiterbildung zum Maschinenbautechniker an der Fachschule Maschinentechnik in Lingen. Ich konnte im Unternehmen in die technische Entwicklung wechseln, noch bevor ich meinen Techniker-Abschluss hatte. Dort bekam ich eine Stabsstelle, in der ich unter anderem Grundlagenuntersuchungen für unterschiedliche Verbindungstechnologien durchführte.

Beruf und Weiterbildung konnten Sie gut miteinander verbinden?

Ich arbeitete weiterhin in Vollzeit und brauchte ein gutes Durchhaltevermögen. Aber meine Chefs und Kollegen standen dahinter und haben mich immer unterstützt, etwa bei der Planung der Arbeitszeiten. Durch das Weiterbildungsstipendium wurde ich ebenfalls gefördert. Nach meiner Abschlussprüfung in der Ausbildung riet mir ein IHK-Prüfer, mich um das Stipendium zu bewerben. Ich hatte in der Ausbildung gute Noten und es klappte. Die Techniker-Weiterbildung schloss ich als Jahrgangsbester ab. Parallel absolvierte ich noch eine Weiterbildung zum Schraubfachtechniker.

Seit wann dachten Sie darüber nach zu studieren?

Selbst als ich den Techniker-Abschluss hatte, kam mir ein Studium noch nicht in den Sinn. Ich war in der Entwicklungsabteilung sehr zufrieden und dachte, der Rest werde über Berufserfahrung laufen. Dann wurde die wirtschaftliche Lage schwieriger und das Unternehmen meldete Kurzarbeit an. Ich war erst 25, vorher war ich voll ausgelastet und hatte jetzt auf einmal viel Freizeit. Ich überlegte also, wie ich die Zeit nutzen konnte. In der Entwicklungsabteilung arbeitete ich viel mit Ingenieuren zusammen und hatte dabei immer mal wieder Wissenslücken, vor allem, wenn es um theoretische Grundlagen ging. 
Dazu kam, dass meine Weiterbildung zum Schraubfachtechniker vom Deutschen Schraubenverband in Kooperation mit einigen Universitäten wie der TU Darmstadt, der Uni Siegen und der TU Dresden durchgeführt wurde. Dort saß ich mit Ingenieurstudenten in den Kursen und hatte schon Uni-Atmosphäre kennengelernt. So reifte der Gedanke, doch zu studieren.

Wie haben Sie den Studiengang ausgewählt?

Meine Freundin und heutige Ehefrau lebte in Hannover und wir hatten drei Jahre eine Fernbeziehung geführt. Als die Entscheidung stand zu studieren, war auch klar, nach Hannover zu gehen. Wegen meines praktischen Hintergrunds hielt ich eine Hochschule für die passendere Wahl als eine Uni. Ich bewarb mich an der Hochschule Hannover und wurde gleich genommen.

Wie war der Start an der Hochschule?

Der Einstieg ins Studium kam sehr plötzlich. Den ersten Tag des Mathematik-Vorkurses habe ich noch verpasst, weil dies gleichzeitig mein letzter Arbeitstag war. Die ersten Wochen in Mathe und Physik waren dann ein kleiner Schock, aber ich gewöhnte mich schnell daran. Wenn man die Unterlagen aufarbeitete, ging es. Ich hatte mich auch mit Kommilitonen aus dem Vorkurs zusammengetan und wir unterstützten einander. Viele hatten einen ähnlichen beruflichen Hintergrund, das war eine gute Basis. 
Das Schlimme war die Zeit der Corona-Pandemie. Es ging schon nach der ersten Vorlesungswoche in den Lockdown und dauerte etwas, bis alles auf Online-Veranstaltungen umgestellt war. Es folgte eine lange Zeit zu Hause ... es hieß, am eigenen Schreibtisch die Schulbank zu drücken, und dann Attacke. (lacht)

Haben Ihnen im Studium Ihre praktischen Erfahrungen geholfen?

Mir wurden einige Erfahrungen als Credits angerechnet, etwa eine Vorlesung pro Semester. Vor allem halfen mir viele Grundlagen aus dem Berufsalltag, besonders im Vergleich zu Kommilitonen, die direkt nach ihrem Abitur studierten. Wenn man nicht weiß, wofür man etwas braucht, vergisst am es schnell wieder. Da hatte ich ganz andere Anknüpfungspunkte, etwa in der Werkstoffkunde, und das Lernen fiel mir leichter.

Sie wurden durch das Aufstiegsstipendium gefördert. Wie hatten Sie von dem Stipendium erfahren?

Durch das Weiterbildungsstipendium wusste ich von dem Programm, mein Studium hatte ich aber noch ohne Förderung begonnen. Ich hatte vor, es durch Nebenjobs zu finanzieren. Die Zusage zum Aufstiegsstipendium erhielt ich zu Beginn des zweiten Semesters. Das war ein wahnsinniger Moment. Als Arbeiterkind mit Migrationshintergrund hatte ich nie geplant zu studieren und deshalb auch keine Rücklagen dafür gebildet. Das Lernen alleine zu Hause beanspruchte viel Zeit, in Lerngruppen wäre es mir wahrscheinlich leichter gefallen. Es war eine riesige Erleichterung, nun finanziell abgesichert zu sein und mich auf das Studium konzentrieren zu können.

Konnten Sie Angebote aus der ideellen Förderung der SBB wahrnehmen?

Erst gegen Ende des Studiums, weil dieses sehr zeitintensiv war. Als das Präsenzstudium wieder möglich war, hatten wir viele Laborveranstaltungen mit Vor- und Nachbereitung. Aus dem ideellen Angebot der SBB habe ich an den Seminaren „Train your brain“ und „Verhandlungstechniken“ teilgenommen.

 

An der Hochschule haben Sie sich auch außerhalb Ihres Studiums engagiert.

Ja, ich war Tutor im Bereich der technischen Mechanik. Kommilitonen haben mir immer nachgesagt, dass ich gut erklären könne. Ich habe mich deshalb bei einem Prof gemeldet und das dann drei Semester gemacht. Je einfacher man anderen etwas erklären kann, desto besser hat man es selbst verstanden, so meine Erfahrung. Außerdem war ich im Team ‚Campus Motorsport‘. Wir nahmen an dem internationalen Konstruktionswettbewerb ‚Formula Student‘ teil, bauten eigene Rennwagen und waren auf verschiedenen Motorsport-Events. Es war eine gute Gelegenheit, während der Corona-Zeit rauszukommen. Das Team unterstütze ich heute noch als inaktives Mitglied.

Ihr Bachelor-Studium haben Sie erfolgreich mit der Note 1,2 abgeschlossen und sind nun auf dem Weg zum Master-Abschluss. Wann haben Sie entschieden, das Studium fortzuführen?

Für mich war es kein Muss, den Master zu machen. Meine Praxisphase im Bachelor-Studium absolvierte ich bei einem Automotive-Unternehmen in Hannover. Dort bot mir mein Teamleiter an, während eines Master-Studiums eine Teilzeitstelle zu übernehmen. Ich hatte ein siebensemestriges Bachelor-Studium, dadurch dauert das Master-Studium nur drei Semester. Und ein höherer Abschluss wird wahrscheinlich meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Durch das Aufstiegsstipendium werde ich ebenfalls weiterhin gefördert, dafür bin ich sehr dankbar. 
Nach dem Master-Studium möchte ich erst einmal im Unternehmen auf festen Füßen stehen. Ich komme ursprünglich aus dem Versuchsbereich und arbeite jetzt wieder dort. Durch das Studium habe ich das bekommen, was ich immer machen wollte.

Interview: Heinz Peter Krieger