„Ihr könnt euch einen Traum erfüllen“
Nach ihrer Ausbildung zur Erzieherin schaffte Fatma Candan es, neben einer Vollzeitstelle in einer Kita berufsbegleitend Soziale Arbeit zu studieren. Den Austausch mit anderen Stipendiatinnen und Stipendiaten und die Seminare in der ideellen Förderung durch das Aufstiegsstipendium waren für sie so wertvoll, dass sie sich auch nach ihrem Studium für die SBB-Community engagieren möchte.
In den pädagogischen Bereich kam Fatma Candan durch ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in einer Grundschule, mit dem sie auch die Voraussetzungen für die Fachhochschulreife erfüllte. Anschließend wollte sie sich auf diesem Gebiet weiterentwickeln: „In der Schule beobachtete ich, dass viele Kinder vernachlässigt waren und nicht den erwarteten Entwicklungsstand hatten. Deshalb wollte ich weiter in diesem Bereich arbeiten, um die Kinder besser zu verstehen und ihnen helfen zu können.“
Sie begann eine Ausbildung zur Erzieherin, mit der sie gleichzeitig die Chancen auf ihren Wunschstudiengang Soziale Arbeit verbessern konnte. Das dritte Ausbildungsjahr verbrachte sie bei der „Lebenshilfe Worms“, einer integrativen Einrichtung, von der ihr ein Klassenkamerad auf der Berufsschule erzählte hatte. „Ich wollte erfahren, wie man gesunde und beeinträchtigte Kinder zusammen fördern kann. Deshalb entschied ich mich für diese Kita“, so Fatma Candan.
„Nach dem Anerkennungsjahr blieb ich bei der ‚Lebenshilfe‘, wollte mich aber unbedingt weiterentwickeln.“ Ein Vollzeitstudium, ganz ohne Arbeit, kam für sie nicht infrage, auch um nicht ihre finanzielle Unabhängigkeit zu verlieren. Über einen Studienpraktikanten bei der Lebenshilfe erfuhr sie vom berufsbegleitenden Studiengang Soziale Arbeit an der Hochschule RheinMain. Eine der Voraussetzungen waren drei Jahre Berufspraxis in Vollzeit. „Die nötige Berufspraxis hatte ich inklusive meines Anerkennungsjahres, das angerechnet wurde. In der Infoveranstaltung hieß es allerdings, dass es sehr viele Bewerberinnen und Bewerber gebe und man nur mit einem sehr guten Ausbildungsabschluss eine Chance auf einen Studienplatz habe. Mit meiner Ausbildungsnote 1,6 hatte ich gar keine Hoffnung.“ Sie bewarb sich dennoch, wurde angenommen – und konnte ihr Wunschstudium beginnen.
„Arbeit und Studium gleichzeitig zu absolvieren, war wirklich eine neue Herausforderung für mich“, erinnert sie sich. „Aber wir wurden in Lerngruppen eingeteilt, in denen wir uns untereinander austauschen konnten, das gab Halt. Außerdem wurden wir im ersten Semester von Tutoren begleitet, an die wir uns immer wenden konnten. Das hat auch sehr geholfen.“ Im ersten Semester hatte Fatma Candan noch Präsenztermine an vier Wochenenden pro Semester, ansonsten sollte das Studium online stattfinden – was es nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie dann ganz tat. Besonders schwer fiel der Studentin, wissenschaftlich zu schreiben. „Das musste ich vorher noch nie. ‚Deine Einleitung hört sich an wie in der Bild-Zeitung‘, sagte mir einer der Tutoren.“ Diese Schwierigkeiten konnte sie mithilfe des SBB-Seminars „Wissenschaftlich schreiben“ überwinden, an dem sie im Rahmen der ideellen Förderung durch das Aufstiegsstipendium teilnahm.
Auf das Aufstiegsstipendium hatte sie während des ersten Semesters ein Tutor an der Hochschule RheinMain aufmerksam gemacht. „Ich dachte immer, Stipendien gäbe es nur für Hochbegabte, aber der Tutor meinte: ‚Versuch's doch mal.‘ Also bewarb ich mich und wurde tatsächlich in das Stipendium aufgenommen. Ich war selbst schockiert“, berichtet sie lachend. Besonders wichtig waren ihr neben der finanziellen Unterstützung der persönliche Austausch unter den Stipendiatinnen und Stipendiaten sowie die Seminare aus der ideellen Förderung. „Aufgrund der Corona-Pandemie wurden leider viele Seminare nur online angeboten, aber ich konnte an einigen teilnehmen, etwa zu den Themen Persönlichkeitsentwicklung, Zeitmanagement, Verfassen der Bachelor-Arbeit oder Existenzgründung.“
Fatma Candan arbeitete während ihres gesamten Studiums, die meiste Zeit in Vollzeit. „Ich weiß selbst nicht, wie ich es geschafft habe, aber es ging irgendwie“, sagt sie heute. Sie lernte fast ausschließlich in Bibliotheken, soweit dies trotz der Corona-Beschränkungen möglich war: „Meine erste Hausarbeit schrieb ich sogar in einer Bibliothek in Istanbul, als ich dort zu Besuch war“, erzählt die 32-Jährige, die als einjähriges Kind mit ihrer Familie aus der Türkei nach Deutschland gekommen war.
Ihr Studium konnte die Stipendiatin erfolgreich beenden, obwohl in die Phase der Bachelor-Prüfungen die Geburt ihres ersten Kindes fiel. „Es war hart. Ich war manchmal so müde, dass ich einen Text sechs- oder siebenmal lesen musste, bis ich ihn verstanden hatte“, blickt sie auf die anstrengende Zeit zurück.
Heute kann sich die Bachelor-Absolventin vorstellen, nach ihrer Elternzeit die Leitung einer Kita zu übernehmen: „Die Leitungen sind nicht immer hinreichend qualifiziert. Darunter leiden dann alle, die Mitarbeitenden wie die Kinder.“ Sicher ist für Fatma Candan, die Verbindung zur SBB und zu anderen Stipendiatinnen und Stipendiaten halten zu wollen. „Ich habe so viele tolle Freundschaften knüpfen können, dass ich auch als Alumna mit anderen im Austausch bleiben möchte. Viele, die das Studium längst beendet haben, sind weiter in dem SBB-Netzwerk aktiv.“ Schon während des Studiums hat sie immer wieder versucht, andere zu motivieren, sich um das Stipendium zu bewerben. „Ich sage immer: Ihr habt nichts zu verlieren. Ihr könnt euch einen Traum erfüllen und werdet dabei noch unterstützt!“
Bericht: Heinz Peter Krieger