„Das Aufstiegsstipendium sorgte auch für Struktur“
Kevin Dallmann erlangte nach seiner Ausbildung zum Straßenwärter die Fachhochschulreife, absolvierte eine zweite Ausbildung zum Mechatroniker und bildete sich zum Staatlich geprüften Techniker weiter. Über Umwege fand er den Weg in ein IT-Studium, entschied sich nach dem Bachelor für einen Master-Studiengang und hat sich im Bereich IT-Sicherheit nebenberuflich selbstständig gemacht. Im Interview erzählt er, wie er sich Schritt für Schritt beruflich weiterentwickeln konnte und wie ihm unter anderem das Aufstiegsstipendium dabei half.
Herr Dallmann, nach Ihrem Hauptschulabschluss haben Sie eine Ausbildung zum Straßenwärter absolviert. Wie kamen Sie auf diesen Beruf?
In der Schule war ich nie wirklich gut und auch nicht sehr interessiert. Nach der neunten Klasse wollte ich lieber etwas Praktisches machen. Mein Vater, der im öffentlichen Dienst arbeitete, entdeckte im Gemeindeblatt die Ausbildungsstelle zum Straßenwärter bei einer Straßenmeisterei. Das war tatsächlich meine erste und einzige Bewerbung und ich bekam direkt die Zusage. Meinem Technik-Lehrer auf der Hauptschule passte das gar nicht. Mit dem Zusatzunterricht, den ich bei ihm auf der Hauptschule hatte, hätte ich in Baden-Württemberg den Realschulabschluss nach dem „9+1“-Modell machen können. Aber ich wollte loslegen und Geld verdienen.
Hatten Sie eine Vorstellung von dem Beruf?
Nein, die hatte ich nicht. Ich habe mich einfach darauf eingelassen.
Dann war die Ausbildung für Sie ja eine richtige Wundertüte.
Das ist richtig. Die überbetriebliche Berufsschulausbildung fand im Blockunterricht in Nagold statt. Ich war bis auf die Wochenenden immer vier Wochen weg von zu Hause, mit einem fest durchgetakteten Tagesablauf. Das war für mich als 15-Jährigen schon eine große Umstellung. Die überbetriebliche Ausbildung fand ich aber hochinteressant. Da habe ich ganz unterschiedliche Dinge gelernt, wie mauern, pflastern, oder Randsteine setzen.
Das Lernen an der Berufsschule machte Ihnen mehr Spaß als zuvor an der Hauptschule?
Bis zur Zwischenprüfung hatte sich meine Einstellung nicht geändert. Ich hatte eine schlechte Note, die aber nicht für die Abschlussnote zählte. Sie war aber der Grund, dass ich aufgewacht bin und dachte: Das kann nicht sein. Als Abschlussnote der Ausbildungsprüfung hatte ich dann eine 1,0.
Wie ging es beruflich für Sie weiter?
Ich blieb zunächst in der Straßenmeisterei, hatte aber noch Freunde aus der Hauptschule, die inzwischen eine Ausbildung in der Industrieregion in Biberach gemacht und ein deutlich höheres Gehalt hatten als ich. Das war ein weiterer Grund, dass ich etwas machen wollte, um eine andere Perspektive zu bekommen. Ein älterer Arbeitskollege riet mir das ebenfalls. Ich entschied mich, das Berufskolleg in Riedlingen zu besuchen, um die Fachhochschulreife zu erlangen. Voraussetzung war die Mittlere Reife, die hatte ich durch das „9+3“-Modell in Baden-Württemberg, unter anderem mit mindestens fünf Jahren Hauptschulbesuch und drei Jahren Ausbildung.
Wie leicht fiel Ihnen das Lernen am Berufskolleg?
Da war ich etwas blauäugig. Auf dem Papier hatte ich zwar die Mittlere Reife, tatsächlich fehlte mir aber der Stoff. Es ging direkt mit Vektorrechnung und Funktionen los, die für mich böhmische Dörfer waren. Hier half mir ein Mathe-Vorbereitungskurs. Während der zwei Jahre am Berufskolleg arbeitete ich weiter Vollzeit, inklusive Winterdienst und ohne Gleitzeit. Wie ich es geschafft habe, frage ich mich heute selbst. Am Berufskolleg merkte ich aber auch, dass Fächer wie Technische Mechanik, Physik und Elektrotechnik das waren, was mir Spaß machte. Vorher hatte ich eigentlich den Plan, im Bereich öffentliche Verwaltung zu studieren. Durch Gespräche mit Mitschülern kam ich dann darauf, ein duales Studium zu beginnen.
Welches Studium war das?
Nach 70 bis 80 Bewerbungen bekam ich eine Stelle bei einem Luft- und Raumfahrtunternehmen in Immenstaad am Bodensee und konnte das duale Studium im Bereich Elektrotechnik beginnen. Ich merkte aber bald, dass mir das Studium zu verschult war. Damit ich im Team bleiben konnte, bot mein Praxisbegleiter im Unternehmen mir dann an, eine verkürzte zweite Ausbildung zum Mechatroniker zu absolvieren und gleichzeitig eine Weiterbildung zum Staatlich geprüften Techniker in der Fachrichtung Elektrotechnik zu beginnen. In meiner Abteilung arbeiteten außer mir nur Ingenieure, ich erlangte auf diese Weise einen gleichwertigen Abschluss und konnte dadurch auch gleich bezahlt werden. Die Ausbildung dauert zwei und die berufsbegleitende Techniker-Weiterbildung an der Elektronikschule Tettnang vier Jahre.
Studieren wollten Sie aber weiterhin?
Ja. In der Abteilung hat zwar niemanden interessiert, ob jemand Diplom-Ingenieur oder Techniker war. Das fand ich beeindruckend, am Ende des Tages zählten immer die Leistung und das Ergebnis. Sobald man die eigene Bubble verlässt, wird man aber doch oft sehr auf den Abschluss reduziert. Das war der Grund, dass ich dennoch den akademischen Abschluss anstrebte. Bei meinen Recherchen nach einem berufsbegleitenden Studium entdeckte ich auch das Aufstiegsstipendium und wusste seitdem, dass es eine Möglichkeit gab, beim Studium finanziell unterstützt zu werden.
Welche Studienrichtung sollte es sein?
Im Unternehmen konnte ich schon Teilprojektleitungen übernehmen und im Bereich Softwareentwicklung mitwirken. In der Elektrotechnik fühlte ich mich gut ausgebildet und wollte mich vielseitiger aufstellen, so kam ich auf die Informatik. Das Studium „Automation IT and Digital Technologies“ an der Wilhelm Büchner Hochschule in Darmstadt war ein IT-Studium mit einem Anteil Automatisierungstechnik. Das klang interessant und ich entschied mich dafür.
Konnten Sie im Studium an Ihre Erfahrungen am Berufskolleg und in der Weiterbildung anknüpfen?
Dort war immer viel vorgegeben, mit festen Stundenplänen und Terminen. Im berufsbegleitenden Studium gab es keine Präsenzveranstaltungen, sondern nur Skripte und man entschied selbst, wann man sich zur Prüfung anmelden wollte. Also eine komplett andere Art des Lernens. Und Mathe im Bereich Informatik ist noch einmal etwas ganz anderes als in der Elektrotechnik. Ich habe viel lernen müssen und Tutorien besucht, aber es hat gut funktioniert. Mein Arbeitgeber und meine Abteilung nahmen ebenfalls viel Rücksicht. Selbst als ich ein Jahr lang ein Projekt in Italien betreute, war es nie ein Problem, etwa für eine Klausur nach Deutschland zurückzukehren. Beim Studium halfen mir auch die regelmäßigen Rückmeldungen bei der SBB, die ich wegen der Förderung durch das Aufstiegsstipendium nach jedem Semester geben musste. Das Stipendium sorgte so auch für Struktur.
Wie sehr hat das Aufstiegsstipendium Ihnen das Studium erleichtert?
Das Stipendium war für mich sehr wichtig, als ich abwog, ob ich das Studium beginnen wollte. Es hat mir einigen finanziellen Druck genommen. Ich bekam zwar weiter mein Gehalt, musste aber Studiengebühren von monatlich etwa 700 Euro aufbringen. Das konnte ich durch das Aufstiegsstipendium zumindest zu einem Teil abfedern.
Ihr Bachelor-Studium haben Sie erfolgreich abgeschlossen. Was sind Ihre weiteren beruflichen Pläne?
Es war ungewohnt, auf einmal so viel Freizeit zu haben (lacht). Ich habe inzwischen, ebenfalls an der Wilhelm Büchner Hochschule, ein berufsbegleitendes Master-Studium in „Embedded Systems“ begonnen, das ich hoffentlich Ende des kommenden Jahres abschließen kann. Zuvor hatte ich meine Bachelor-Arbeit im Bereich IT-Sicherheit geschrieben und mich dort mit der Entwicklung von Härtungsmaßnahmen für containerisierte Applikationen in Linux-Umgebungen beschäftigt. Das fand ich so spannend, dass ich mehrere Fortbildungen zu diesem Thema besucht und mich nebenberuflich in diesem Bereich selbstständig gemacht habe. Beim Schreiben der Bachelor-Arbeit stellte ich fest, dass viele befürchten, IT-Sicherheit sei teuer und verlangsame Prozesse. Ich möchte weitergeben, dass das nicht zwangsläufig so sein muss. Außerdem bin ich seit einigen Monaten im Vorstand der DNUG e. V., der ‚Deutschen Notes User Group‘. Hier haben wir ebenfalls einen starken Fokus auf das Thema IT-Sicherheit.
Auf Ihrem Weg vom Straßenwärter bis zum Master-Studium in der IT haben Sie manchmal zwei Sprünge auf einmal gemacht. Wann passt es aus Ihrer Sicht, sein bisherigen Level zu verlassen?
Einen perfekten Zeitpunkt gibt es nicht. Der Moment, an dem alles passt, kommt wahrscheinlich nie. Aber wenn man sich sagt, es ist mein innerster Wunsch, sollte man es machen. Bei mir waren es immer Entscheidungen aus der Situation. Als ich 2009 meine Ausbildung begann, hätte ich nie gedacht, dass ich jemals einen akademischen Abschluss haben würde. Und ich bin dankbar, dass ich immer Menschen hatte, die meinen Weg unterstützt haben – ob es der Kollege in der Straßenmeisterei war, mit dem ich heute noch Kontakt habe, oder später die SBB bei meinem Studium.
Bericht: Heinz Peter Krieger