„Das Studium passte perfekt zu meiner Ausbildung“
Nach ihrer Ausbildung zur Milchwirtschaftlichen Laborantin und zwei Jahren im Beruf erwarb Carina Weidenhüller an einer Berufsoberschule die Fachhochschulreife. Anschließend studierte sie Lebensmittel- und Verpackungstechnologie an der Hochschule Kempten. Im Interview erzählt sie, wie sie im Studium von ihrer Berufsausbildung und ihren praktischen Erfahrungen profitierte und warum sie Stipendiatinnen und Stipendiaten des Aufstiegsstipendiums die Seminare aus der ideellen Förderung der SBB empfiehlt.
Frau Weidenhüller, nach der Mittleren Reife haben Sie eine Ausbildung zur Milchwirtschaftlichen Laborantin absolviert. Wie waren Sie auf den Beruf gekommen?
In der neunten Klasse der Realschule hatte ich noch ganz unterschiedliche Interessen und alle möglichen Praktika absolviert. Aber ich war vor allem in den naturwissenschaftlichen Fächern ziemlich gut. Dadurch, dass eine Nachbarin in diesem Beruf arbeitete, kam ich dann auf die Ausbildung zur Milchwirtschaftlichen Laborantin. Eine Alternative wäre die Ausbildung zur Chemielaborantin gewesen, aber die Milchwirtschaft und den Umgang mit Lebensmitteln, die wir täglich konsumieren, fand ich noch greifbarer.
Wie haben Sie Ihre Ausbildungsstelle gefunden?
In der Molkerei, in der die Nachbarin arbeitete, konnte ich ein Praktikum absolvieren und dann auch meine Ausbildung beginnen. In Deutschland gibt es für den Ausbildungsberuf nur wenige Berufsschulen, aber ich hatte das Glück, dass meine nur eineinhalb Autostunden von meinem Heimatort entfernt war, in Triesdorf in der Nähe von Ansbach. Wegen der großen Entfernung für viele Auszubildende fand die Ausbildung in der Berufsschule immer im sechswöchigen Blockunterricht statt.
Wie gefiel Ihnen die Ausbildung?
Sehr gut. Das Labor war in circa 25 Arbeitsgruppen eingeteilt, in denen wir ausgebildet wurden. Das machte die Ausbildung unheimlich abwechslungsreich. Von der Chemie bis zur Mikrobiologie lernte ich die ganze Bandbreite des Berufs kennen. Und im Fach Molkereitechnologie haben wir wirklich alles über die Herstellung von Molkereiprodukten erfahren.
Fand die Arbeit hauptsächlich im Labor statt?
Größtenteils ja, aber nicht nur. Wenn die Milch in der Molkerei ankommt, ist zunächst die wichtigste Kontrolle, ob sie frei von Antibiotika ist. Sonst wird sie nicht angenommen. Dann geht man den Weg der Milch mit. Erst wird sie in Magermilch und Rahm getrennt, danach gibt es die verschiedenen Vorstufen und Zwischenschritte bis zum Endprodukt, etwa beim Joghurt oder Käse. Die Laborantinnen und Laboranten waren aber zum Beispiel auch dafür zuständig, dass die Waagen in der Produktionshalle korrekt messen. Ich wollte immer das Große und Ganze mit allen Zwischenstufen verstehen. Deshalb fand ich es toll, dass wir die Proben teils selbst geholt haben und genau wussten, wo sie herkamen.
Wie ging es nach der Ausbildung weiter?
Ich wurde übernommen und konnte in dem Unternehmen weiterhin regelmäßig die Arbeitsgruppen innerhalb des Labors wechseln, dadurch wurde es nie eintönig. Schichtdienst und Wochenendarbeit gehörten ebenfalls dazu. ‚Eine Kuh gibt 24 Stunden Milch‘, haben wir immer gesagt. Nach zwei Jahren habe ich gekündigt, weil ich an der Berufsoberschule das Abitur nachholen wollte. Die Zeit dazwischen habe ich mit einem Auslandsaufenthalt in Kanada überbrückt. Ich besuchte eine Sprachschule in Vancouver, reiste und arbeitete auf einer Pferderanch.
Hatten Sie da schon den Plan zu studieren?
Anfangs nicht. Ich lerne einfach sehr gerne und mein Freund machte zu der Zeit eine Umschulung zum Maschinenbautechniker. Das war für mich der Anlass, das Abitur anzugehen. Ich war in Vollzeit an der Berufsoberschule und als ich nach einem Jahr die Fachhochschulreife geschafft hatte, wollte ich dann doch ein Studium beginnen.
An welchen Studiengang dachten Sie?
Ursprünglich wollte ich ein Lehramtsstudium in Mathe und Physik für die Realschule beginnen. Dafür hätte ich an einer Uni studieren müssen. Für die allgemeine Hochschulreife fehlte mir aber die zweite Fremdsprache und ich hätte die Berufsoberschule zwei Jahre lang besuchen müssen. Außerdem dauert die Lehrerausbildung relativ lange. Deshalb überlegte ich, welche anderen Studiengänge zu meiner Ausbildung passen könnten, informierte mich bei einigen Hochschulen und entdeckte den Studiengang Lebensmittel- und Verpackungstechnologie an der Hochschule Kempten. Eine andere Option war für mich das Bauingenieurwesen. Aber als Frau, die keine praktische Ausbildung in dem Bereich hat, auf Baustellen zu arbeiten, fand ich nicht sinnvoll. Ich finde es sehr wichtig, auch als Ingenieurin und Bachelor-Absolventin entsprechendes praktisches Wissen zu haben. So blieb ich bei der Lebensmittel- und Verpackungstechnologie.
Wie empfanden Sie den Start ins Studium?
Es war eine Umstellung, mir alles selbst erarbeiten zu müssen und dabei wenig an der Hand genommen zu werden. Das war ganz anders als an der Schule, obwohl wir ein Studiengang mit nur 20 bis 25 Studierenden waren. Der Studiengang ist sehr technisch, im Grundstudium ging es um Maschinenbau. Meine Lerngruppe mit zwei Jungs half mir, am Ball zu bleiben und mit dem Druck zurechtzukommen, den ich mir selbst machte. Gerade in technischen Fächern ist eine Lerngruppe hilfreich, etwa wenn man sich in einer falschen Berechnung verrennt und alleine nicht erkennt, wo der Fehler liegt. So funktionierte das Studium mit der Zeit recht gut.
Haben Ihnen im Studium Ihre praktischen Erfahrungen geholfen?
In dem Studiengang drehte sich viel um die Milchwirtschaft. Kempten liegt ja im Allgäu, wo diese eine riesige Rolle spielt. Deshalb passte das Studium perfekt zu meiner Ausbildung. Einige Vorlesungen, wie Chemie, Mikrobiologie, Molkereitechnologie oder Lebensmittelrecht, waren für mich eher Wiederholungen oder Vertiefungen. Ganz neu waren dagegen neben dem Maschinenbau die Elektrotechnik und die Verpackungstechnologie. Hier spielte der Nachhaltigkeitsaspekt eine große Rolle. Grundsätzlich finde ich es sehr wertvoll, vor dem Studium praktische Erfahrungen gesammelt zu haben. Im Studium habe ich meist gemerkt, wer vorher eine Ausbildung gemacht hatte. Die Kommilitonen mit einer Ausbildung waren fast immer ernsthafter bei der Sache. Es fiel ihnen viel leichter, sich selbst zu organisieren und einen Rahmen zu schaffen, und sie haben auch seltener Prüfungen aufgeschoben.
Bei Ihrem Studium wurden Sie durch das Aufstiegsstipendium gefördert. Wie hatten Sie von dem Stipendium erfahren?
Ich hätte nie gedacht, dass ich für ein Stipendium infrage käme. Ich war davon ausgegangen, dass dafür ein Notenschnitt von null Komma irgendwas nötig sei. Den Hinweis auf das Aufstiegsstipendium entdeckte ich auf der Website der Hochschule und hatte gleich den Eindruck, dass es auf mich passte, weil die mögliche Förderung an eine Ausbildung anknüpft. Zu der Zeit lief gerade die Online-Bewerbungsphase für das Aufstiegsstipendium und ich habe mich direkt beworben.
Wie sehr hat das Stipendium Ihnen das Studium erleichtert?
Wahrscheinlich hätte ich das Studium auch ohne das Stipendium geschafft. Aber ich hätte alle Rücklagen verbraucht, die ich durch die Arbeit in den Schichtdiensten angespart hatte. Durch das Stipendium war der Druck nicht so groß, während des Studiums möglichst viel arbeiten zu müssen. Verschiedene Ferien- oder Nebenjobs hatte ich ohnehin regelmäßig.
Ihr Studium haben Sie mit der Gesamtnote 1,0 abgeschlossen. Konnten Sie beruflich bereits davon profitieren?
Ich hatte mich schon während der Prüfungszeit nach möglichen Stellen umgeschaut und konnte kurz nach meinem Abschluss in der Qualitätssicherung einer Großbäckerei starten, die etwa 290 Filialen in Bayern betreibt, die meisten als Läden in Supermärkten. Ein Studium oder ein Abschluss als staatlich geprüfte Lebensmitteltechnikerin war Voraussetzung für diese Stelle. Das Studium hat sich also auf jeden Fall gelohnt. Die Qualitätssicherung hatte mich schon während meiner Arbeit im Labor besonders interessiert. Ich selbst führte damals nur die Analysen durch, bewertete jedoch nicht deren Ergebnisse. Was zum Beispiel passierte, wenn ich als Laborantin an einem Produkt Qualitätsmängel feststellte, bekam ich nicht mehr mit. Genau an dieser Stelle arbeite ich jetzt. Ich bin nun in der Position zu entscheiden, welche Ware freigeben wird oder welche Artikel aufgrund qualitativer Mängel nicht ausgeliefert werden. Neben lebensmittelrechtlichen Aufgaben gehören die Organisation der Hygienekontrolle in den Filialen und die Kommunikation mit den Behörden zu meinem Aufgabenbereich. Ich merke aber auch in diesem Job wieder, wie viel mir meine Ausbildung immer noch bringt. Dieser praktische Zugang ist übrigens typisch für Stipendiatinnen und Stipendiaten des Aufstiegsstipendiums. Auf den Seminaren der SBB konnte ich einige von ihnen kennenlernen.
Welche Seminare waren das?
Zum Beispiel zum Thema „Train your Brain“, zum Zeit- und Selbstmanagement oder zu Schreibprozessen im Studium. Letzteres war ganz wichtig für mich, weil das Verfassen wissenschaftlicher Texte in meinem technischen Studium kaum vermittelt wurde. Davon habe ich gerade bei meiner Bachelor-Arbeit sehr profitiert. Die Seminare der SBB kann ich Stipendiatinnen und Stipendiaten nur empfehlen – ich hätte gerne noch mehr gemacht.
Interview: Heinz Peter Krieger