„Das Studium war für mich ein Stück wiedergewonnene Freiheit“

Nach der Mittleren Reife erwarb Janina Strohmeier das Fachabitur und machte eine Ausbildung zur Gestalterin für visuelles Marketing. In den folgenden Berufsjahren absolvierte sie einige Weiterbildungen und lernte dabei das Thema Werbepsychologie kennen. Das fand sie so spannend, dass sie anschließend Wirtschaftspsychologie an der FH Bielefeld studierte und inzwischen – weiterhin durch das Aufstiegsstipendium gefördert – ein berufsbegleitendes Master-Studium begonnen hat.

 


Frau Strohmeier, Sie haben eine Ausbildung zur Gestalterin für visuelles Marketing absolviert. Wie waren Sie auf den Beruf gekommen?

Ich hatte schon immer Spaß daran, kreativ zu gestalten. In der Schulzeit konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, im Büro zu arbeiten. Ich entdeckte dann den Beruf der Gestalterin für visuelles Marketing und habe schon mit 14 oder 15 Jahren ein einwöchiges Praktikum gemacht. Das fand ich wirklich toll und wollte nach der Mittleren Reife die Ausbildung beginnen. Da der Beruf zu dieser Zeit sehr gefragt war, klappte das nicht gleich, mir wurde jedoch empfohlen, zunächst mein Fachabitur zu machen. Das habe ich dann am Berufskolleg für Gestaltung und Technik in Aachen erworben und dabei auch ein einjähriges Praktikum in der Modebranche absolviert. Anschließend bekam ich meine gewünschte Ausbildungsstelle in einem Möbelhaus.

Was gehörte alles zu Ihren Aufgaben?

Dazu zählten viele handwerkliche Schwerpunkte und kreative Arbeit mit Farb- und Formgebung, wie ich es mir vorgestellt hatte. In der Möbelbranche geht die Arbeit auch in Richtung Innenarchitektur, etwa bei der Präsentation in den einzelnen sogenannten Kojen, in denen die Schreiner die Möbel aufstellen. Alles drumherum wird von den Gestaltern gemacht, also Tapezieren, Streichen, Auswahl der Deko-Elemente bis zur Ladenbeschilderung und Beleuchtungskonzepten. Zum Teil haben wir sogar selbst abstrakte Bilder gemalt, die wir in den Kojen aufgehängt haben, damit farblich alles passte.

Was passierte nach der Ausbildung?

Ich blieb noch ein gutes halbes Jahr in dem Möbelhaus. Das Unternehmen hatte mir allerdings nur eine Teilzeitstelle in der Dekoration anbieten können. Außerdem fehlte mir der Bereich Mode, der auch in der Ausbildung keine Rolle gespielt hatte. Ich konnte dann zur Modehandelskette wechseln, bei der ich mein Jahrespraktikum absolviert hatte, in eine Filiale ins Saarland. Das passte auch privat gut, weil mein damaliger Freund und heutiger Mann nach seinem Studium dort eine Stelle angenommen hatte. Dort blieb ich fast fünf Jahre und arbeitete in mehreren Filialen. Zuletzt war ich alleine verantwortliche für die Dekoration eines 3.000 Quadratmeter großen Verkaufshauses.

Seit wann spielten Sie mit dem Gedanken zu studieren?

2016 bekam mein Mann ein gutes Stellenangebot aus Minden, das er gerne annehmen wollte. Ich konnte stellvertretende-Abteilungsleiterin in einem Modehaus in Hannover werden und wechselte mit nach Ostwestfalen, musste dadurch aber ein Jahr lang zwischen unserem Wohnort Herford und Hannover pendeln, etwa 200 Kilometer am Tag. Die Stelle gefiel mir sehr gut, auch weil ich zum ersten Mal Personalverantwortung hatte, unter anderem für die Azubis. Ich hatte aber auch eine Art Aha-Erlebnis, bei dem mir klar wurde, dass ich in dem Beruf keine weiteren Perspektiven hatte, als Abteilungsleiterin zu werden. Ich war damals 27 Jahre alt und stellte alles infrage, zumal die Aussichten im Einzelhandel aufgrund der Konkurrenz durch den Online-Handel sehr ungewiss sind. An ein Studium hatte ich früher schon gedacht, aber nie so, dass ich es mir wirklich zugetraut hätte. Jetzt wurde das Thema für mich wieder aktuell.

An welche Fachrichtung dachten Sie?

Nach meiner Ausbildung hatte ich mehrere Weiterbildungen absolviert. Ich wurde über die IHK Aachen durch das Weiterbildungsstipendium gefördert und nutzte das unter anderem für den Ausbilderschein, einen Fernlehrgang zur Grafikdesignerin und einen Kurs in Markt- und Werbepsychologie an der Euro-FH. Das Thema Werbepsychologie fand ich unheimlich spannend. Als ich wieder an ein Studium dachte, gab ich die Begriffe einfach in die Suchmaschine ein und stellte fest, dass Markt- und Werbepsychologie typische Module in einem Studium der Wirtschaftspsychologie sind. Ich habe mich dann in das Fach eingelesen und fand die Inhalte und Perspektiven sehr interessant, weil man schon im Bachelor-Studium den Bereich Marketing vertiefen konnte. Da wusste ich: Genau das ist es.

Wie haben Sie Ihren Studienplatz bekommen?

An der Fachhochschule Bielefeld gab es kurz danach einen Tag der offenen Tür. Dort erfuhr ich, dass ich aufgrund meiner Berufserfahrung schon 18 Wartesemester mitbrachte und dass ich deshalb trotz des hohen NC von 1,4 oder 1,5 gute Aussichten auf einen Studienplatz hatte. Als Abiturnote hatte ich eine 1,9. Ich schaute mir noch einige Probeveranstaltungen an und hatte schon da das Gefühl, dass ich die Inhalte wie ein Schwamm aufsog. Da spürte ich, wie sehr ich das Lernen und Weiterbilden vermisst hatte. Ich war so entschlossen, dass ich aufgrund der Kündigungsfrist und der Einschreibefrist an der Hochschule meinen Job schon kündigte, bevor ich die offizielle Studienplatzzusage hatte.

War der Start ins Studium eine große Umstellung?

Ja, aber eine absolut positive. Ich habe es vom ersten Moment an genossen zu studieren. Das Studium war zwar auch anstrengend, aber auf eine andere Art. Für mich war es ein Stück wiedergewonnene Flexibilität und Freiheit, zumal das lange Pendeln jetzt entfiel. Die Hochschultermine sind zwar fix, aber es schreibt einem ja niemand vor, wann man zu lernen hat. Ich habe schon im ersten Semester gemerkt, dass es die richtige Entscheidung war. Es hat sich auch schnell eine Gruppe von Kommilitonen herauskristallisiert, mit der ich bis heute sehr gut befreundet bin. Es war ein kleiner Studiengang mit am Anfang etwa 45 Studierenden, da kannte man sich einfach und konnte einander gut helfen. Und wir hatten auch tolle Professoren, denen man anmerkte, dass sie für ihr Thema brannten und uns etwas beibringen wollten. Ich hatte zuvor noch nie das Gefühl gehabt, von so motivierenden und inspirierenden Persönlichkeiten lernen zu können.

Wie haben Ihnen im Studium Ihre praktischen Erfahrungen geholfen?

Wenn man weiß, wie die Arbeitswelt aussieht, hilft das, sich selbst zu strukturieren und diszipliniert an das Studium heranzugehen. Außerdem hatte ich weniger Hemmungen, mit den Professoren in Kontakt zu treten, als die jüngeren Kommilitonen. Wenn ich etwas nicht verstand, ging ich einfach zu ihnen und fragte. Aus meinem Berufsleben war ich es ja gewohnt, mit unterschiedlichen Charakteren auf verschiedenen Hierarchieebenen zu tun zu haben.

Bei Ihrem Studium wurden Sie durch das Aufstiegsstipendium unterstützt. Kam der Kontakt durch die frühere Förderung durch das Weiterbildungsstipendium zustande?

Ich wusste vom Aufstiegsstipendium und wurde wieder darauf aufmerksam, als bei Probevorlesungen in der FH Flyer der SBB auslagen. Ich war aber immer noch skeptisch, ob das Stipendium für mich infrage käme, und rief unter der angegebenen Kontaktnummer bei der SBB an. Eine unheimlich nette Beraterin hat mir dann den Bewerbungsprozess erläutert und mich ermutigt, mich auf jeden Fall zu bewerben.

Wie sehr hat das Stipendium das Studium erleichtert?

Mein Mann konnte mich zwar unterstützen, aber ohne das Stipendium hätte ich nebenher viel mehr arbeiten müssen als auf 450-Euro-Basis. Durch die Unterstützung konnte ich dem Studium und den Lerninhalten wesentlich mehr Raum geben. Dazu kam die ideelle Förderung mit den vielen angebotenen Seminaren zu fachübergreifenden Themen oder zur Persönlichkeitsentwicklung. Wenn man erfahren hat, wie schwer es manchmal ist, vom Arbeitgeber eine Weiterbildung bewilligt zu bekommen, weiß man das Angebot erst richtig zu schätzen.

Wie ging es nach dem Bachelor-Abschluss für Sie weiter?

Das Studium konnte ich mit der Note 1,5 abschließen und ich hatte das Gefühl, dass ich mit dem Lernen noch nicht fertig bin. Ich habe natürlich einiges an Fachkompetenz erworben, aber ich glaube, da ist noch Luft nach oben. Deshalb habe ich vor Kurzem ein berufsbegleitendes Master-Studium in ‚Wirtschaftspsychologie & Beratung‘ an der FOM Gütersloh begonnen, bei dem ich sogar weiter durch das Aufstiegsstipendium gefördert werde. Während des Bachelor-Studiums hatte ich zudem angefangen, für das Forschungsinstitut Institut für Technische Energie-Systeme ITES an der FH Bielefeld zu arbeiten. Dort bin ich jetzt halbtags tätig und erstelle derzeit ein Marketing-Konzept. Außerdem bin ich Mitglied in der studentischen Unternehmensberatung ‚Stunt‘ in Bielefeld. Ich kann mir gut vorstellen, nach dem Master in den Bereich Coaching, Consulting oder in die Lehre zu gehen oder vielleicht in der Forschung zu bleiben und sogar zu promovieren. Es kommt einfach darauf an, welche Möglichkeiten sich ergeben.

Aus Ihrer Erfahrung: Wann sollten Berufstätige sich ein Studium zutrauen?

Im Vorfeld hatte ich viele Zweifel, ob ich ein Studium überhaupt schaffen könnte, und merke jetzt, dass es genau das ist, was ich machen will. Meine Erfahrung ist: Wenn das Herz daran hängt, soll man es auch machen, gerade wenn man das Gefühl hat, in einer Sackgasse zu stecken. Das Einzige, was einen dann limitieren kann, ist man selbst.

Interview: Heinz Peter Krieger